NEUES LEITMOTIV
Die New Paradigm Papers des Monats August
Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
8. AUGUST 2022LESEDAUER
7 MIN.Aligning finance with the green transition: From a risk-based to allocative green credit policy regime
Katie Kedward, Daniela Gabor, Josh Ryan-Collins
Die Autoren plädieren für eine aktivere Rolle der Zentralbanken bei der Bekämpfung des Klimawandels. Laut Kedward et al. werden trotz des Diskurswechsels zugunsten einer grünen Geldpolitik seit dem Pariser Abkommen Klimarisiken noch zu wenig bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt. Die Zentralbanken haben einen Ansatz des ‘market-fixing’ verfolgt, indem sie dafür gesorgt haben, dass Finanzinstitute ihre Klimarisiken offenlegen. In anderen Bereichen der Klimapolitik wie bei dem Instrument der ‚carbon contracts for difference‘ gehen die Regierungen dazu über, private Risiken für erneuerbare Energien zu übernehmen (‘de-risking’ Ansatz), um die Preissignale zugunsten grüner Investitionen zu lenken. Diese politischen Innovationen zur Förderung nachhaltiger Finanzströme gehen zwar in die richtige Richtung, lassen nach Ansicht der Autoren aber drei entscheidende Punkte außer Acht.
Erstens haben die Anleihekaufprogramme der Zentralbanken relativ wenig Einfluss auf institutionelles Kapital. Viele Vermögensverwalter, Versicherungen, sowie Pensions-, Hedge- und Staatsfonds sind an ihre treuhänderische Pflicht zur Maximierung der Finanzerträge gebunden und nicht dem gleichen regulatorischen Druck ausgesetzt wie der Bankensektor. Dies trägt aus Sicht der Autoren dazu bei, dass grüne Finanzprodukte immer noch nicht mit dem globalen Markt für fossile Brennstoffe konkurrieren können. Zweitens hat sich gezeigt, dass die Verwendung von Risikomessungen, die hauptsächlich von ESG-Initiativen des privaten Sektors entwickelt wurden, Greenwashing fördert und das Ausmaß von radikaler Unsicherheit unterschätzt, die durch den Klimawandel und den Biodiversitätsverlust ausgelöst werden. Drittens betrachtet die Geldpolitik aufgrund des Marktneutralitätsprinzips bisher den Klimawandel eher aus indirekter Sicht, indem sie sich vor allem mit den Auswirkungen auf die Finanzstabilität beschäftigt. Diese derzeitigen Aspekte des Finanzsystems könnten durch eine allokative grüne Kreditpolitik angegangen werden. Dazu kategorisieren die Autoren eine breite Palette von Anreizen und Verboten – von makroprudenzieller Maßnahmen bis hin zu subventionierten grünen Kredite für Haushalte und Unternehmen, Zinskontrollen und Kreditquoten. Darüber hinaus könnten direkte preis- oder mengenmäßige Beschränkungen für nicht-nachhaltige Vermögenswerte beschlossen werden, die nicht nur Banken, sondern auch institutionelle Investoren betreffen.
Mit einer allokativen grünen Kreditpolitik wären Zentralbanken und Regulierungsbehörden Teil einer umfassenderen staatlichen „Mission“, um die Wirtschaft in Richtung eines grünen Übergangs zu lenken und direkte Anreize für Kreditflüsse zu schaffen. Dies würde eine Neugestaltung der Steuer-, Geld-, Aufsichts- und Industriepolitik und einen Bruch mit der monetären Dominanz der letzten vier Jahrzehnte erfordern. Die Autoren schlussfolgern, dass aus der Kreditpolitik der Nachkriegszeit wichtige Impulse für eine besser koordinierte Umstellung des Finanzsektors und der gesamten Wirtschaft erwachsen könnten.
The European Central Bank’s strategy, environmental policy and the new inflation: A case for interest rate differentiation
Jens van ‘t Klooster
Eine weitere Veröffentlichung beschäftigt sich mit dem sehr aktuellen Thema der grünen Geldpolitik. Van’t Klooster zeigt Möglichkeiten der neuen EZB-Strategie auf, mit denen sie gleichzeitig den Klimawandel und die Inflation mildern kann.
Seit 2003 war die EZB-Strategie hauptsächlich von einer kurzfristigen Perspektive auf die Preisstabilität geprägt. Nach den Erfahrungen der Eurokrise wurde bei der Überprüfung der Strategie im Jahr 2021 offiziell eine weitere Säule eingeführt, die die Finanzmarktstabilität und insbesondere die fragmentierten Märkte für Staatsanleihen bewertet. Diese neue Säule umfasst nun auch die sich aus dem Klimawandel ergebenden Risiken für die Preis- und Finanzmarktstabilität. Im Rahmen der so genannten Verhältnismäßigkeitsprüfung der neuen EZB-Strategie ist die Bank nun verpflichtet, breitere wirtschaftliche Voraussetzungen für die Preisstabilität zu berücksichtigen und mögliche Nebenwirkungen ihrer Politik zu minimieren.
Laut van’t Klooster bietet das Mandat der EZB genügend Spielraum, um ihre Refinanzierungsgeschäfte mit der breiteren Wirtschafts- und Klimaagenda der EU in Einklang zu bringen. Er argumentiert, dass die Statuten grundsätzlich jede Finanzmarkttransaktion zulassen, die die Bank für angemessen hält. Abgesehen von der jüngsten Ankündigung der EZB, den Klimawandel bei ihren Ankäufen von Vermögenswerten des Unternehmenssektors zu berücksichtigen, könnte sie auch eine Steuerung der Zinssätze in Betracht ziehen. So könnten beispielsweise die Kriterien des Programms für gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) überarbeitet werden, um grüne Investitionen im Rahmen des REPowerEU-Aktionsplans zu fördern. Sie könnte auch ein Nachfolgerprogramm für das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) auflegen, um der Fragmentierung der Finanzmärkte in der EU entgegenzuwirken. Nach seiner Ansicht könnte eine generelle Anhebung der Zinssätze zu unbeabsichtigten negativen und langfristige Folgen in der Realwirtschaft führen. Der Autor empfiehlt der EZB daher, bei anstehenden Zinsanhebungen die wirtschaftlichen Bedingungen für dringend benötigte grüne Investitionen sowie die Stabilität der Eurozone insgesamt zu berücksichtigen.
Fighting Climate Change: International Attitudes Toward Climate Policies
Antoine Dechezleprêtre, Adrien Fabre, Tobias Kruse, Bluebery Planterose, Ana Sanchez Chico, Stefanie Stantcheva
Eine neue Studie untersucht, welche Faktoren am meisten dazu beitragen, die Bürger für den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen. Befragt wurden 40.000 Menschen in zwanzig Ländern, die die weltweit emissionsstärksten Volkswirtschaften in Europa, Nordamerika und Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien abdecken. Die Studie wertete eine Vielzahl an Fragen bezüglich des eigenen Konsumverhaltens und der Unterstützung von staatlicher Klimapolitik sowie deren Finanzierung aus. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die öffentliche Unterstützung für die Klimapolitik von der Effizienz der jeweiligen Maßnahme sowie von den Verteilungseffekten auf die Gesellschaft und den Einzelnen abhängt. Sozioökonomische Merkmale und der Lebensstil der Befragten scheinen eine Rolle zu spielen, da Personen mit höherem Bildungsniveau und linker Orientierung, die sich im Alltag auf öffentliche Verkehrsmittel verlassen können, im Allgemeinen mehr Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen bekunden. In der Studie wurden auch Präferenzen in Bezug auf die Finanzierungsquellen ermittelt. Klimaausgaben, die durch neue Schulden oder Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen wie Sozialleistungen oder Militärausgaben finanziert werden, waren weniger beliebt. Zu den beliebtesten Finanzierungsquellen zählen höhere Steuern für Wohlhabende. Darüber hinaus finden CO2-Steuern hohe Zustimmung, wenn die Einnahmen zur Finanzierung grüner Infrastruktur, zur Steuersenkung oder zur Subventionierung kohlenstoffarmer Technologien genutzt werden.
Permanent Scars: The Effects of Wages on Productivity
Claudia Fontanari and Antonella Palumbo
Ein neues INET-Arbeitspapier untersucht, inwieweit die Lohnentwicklung in den Vereinigten Staaten die Produktivität beeinflusst hat. Claudia Fontanari und Antonella Palumbo zeigen darin mittels US-Arbeitsmarktdaten der letzten siebzig Jahre, dass andauernde Reallohnverluste und eine sinkende Lohnquote sich langfristig negativ auf die Produktivität und auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt haben. Fontanari und Palumbo analysieren den jahrzehntelangen Rückgang der Lohnquote mittels eines postkeynesianischen Ansatzes. Sie gehen u.a. davon aus, dass die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte einen erheblichen Einfluss auf die stagnierenden Löhne hatte. Darüber hinaus räumen sie langfristigen makroökonomische Trends Automatisierung und Globalisierung auch eine Rolle bei der Polarisierung des Arbeitsmarkts ein. Die Autorinnen sehen in den ausgewerteten Daten Evidenz für die Theorie von Sylos Labini, wonach ein Überfluss an billigen Arbeitskräften die Effizienz- und Innovationsanreize von Unternehmen senken und die gesamtwirtschaftliche Produktivität damit ausbremsen kann.
The Financial Drivers of Populism in Europe
Luigi Guiso, Massimo Morelli, Tommaso Sonno and Helios Herrera
Laut einer neuen empirischen Untersuchung hat die Finanzkrise stärker als bisher angenommen die Zustimmung zu populistischen Parteien in Europa begünstigt. Anhand von Daten aus dem European Social Survey untersuchen Guiso et al. das Wahlverhalten nach Beschäftigungsart, Einkommensprofil und Alter seit Anfang des Jahrhunderts. Laut ihrer Analyse hat die Finanzkrise das Wählerverhalten und die politische Landschaft in Europa wesentlich verändert. Nach 2008 sank die Wahlbeteiligung im linken Spektrum und das Vertrauen in Volksparteien insbesondere in Ländern mit damalig geringem fiskalischen Handlungsspielraum wie etwa Italien und Spanien deutlich. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die Finanzkrise und die nachfolgende Rezession zu tiefgreifenden langfristigen Wohlfahrtsverlusten für weite Teile der Gesellschaft geführt haben. Die daraus resultierende ökonomische Unsicherheit sei mit einem der Aufstieg von populistischen Parteien direkt nach der Finanzkrise einhergegangen. Guiso et al. werten die Finanzkrise als einen grundlegenden Einschnitt, der die ökonomische Unsicherheit in weiten Teilen der Gesellschaft befördert habe. Die Autoren resümieren, dass aus dieser Entwicklung entweder ein völliger Bruch mit dem traditionellen Parteiensystem oder aber ein Comeback der Volksparteien resultieren könnte.