DER STAAT

Austerität fördert politische Instabilität

Inmitten der Ankündigung schwerer Haushaltskürzungen in Deutschland kommt eine neue Studie zu dem Ergebnis, dass Austerität zu einem deutlichen Anstieg der Unterstützung von populistischen Parteien führt.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

28. JULI 2022

LESEDAUER

4 MIN

Jahrzehntelang war die deutsche Finanzpolitik von der Vorstellung geprägt, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen an der Schuldenquote und dem jährlichen Haushaltsdefizit gemessen werden sollte. Mit der Einführung der Schuldenbremse fand dieser Ansatz im Jahr 2009 Eingang in die deutsche Verfassung. Nach zwei Jahren der Pandemie, in denen die Schuldenregeln außer Kraft gesetzt waren, dafür inmitten neuer Umbrüche und Krisen, kündigte Bundesfinanzminister Christian Lindner für den Bundeshaushalt 2023 eine zehnprozentige Haushaltskürzung an. Damit kehrt er zurück zum prozyklischen, sparorientierten finanzpolitischen Regime der Post-Finanzkrise Ära.

In der Zwischenzeit haben neuere Forschungsarbeiten (vgl. unter anderem Philippa Sigl-Glöckner et al. (2021)) herausgearbeitet, dass das „Austeritätsparadigma“ zu suboptimalen gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen führt, z. B. im Hinblick auf die langfristige fiskalische Nachhaltigkeit sowie die Bemühungen zur Förderung der Dekarbonisierung. Dieser Literaturstrang wird durch eine aktuelle Veröffentlichung ergänzt, die die Beziehung zwischen fiskalischer Austerität und politischer Fragmentierung beleuchtet. Unter Verwendung einer neuartigen regionalen Datenbank, die über 200 Wahlen in mehreren europäischen Ländern abdeckt, liefern die Forscher um Ricardo Duque Gabriel, Mathias Klein und Ana Sofia Pessoa neue empirische Belege für die politischen Folgen von Haushaltskonsolidierungen.

Populistische und rechtsextreme Parteien sind in vielen Teilen Europas seit der Großen Finanzkrise und der anschließenden europäischen Staatsschuldenkrise auf dem Vormarsch. Dieser Aufschwung fiel in eine Zeit erheblicher fiskalpolitischer Eingriffe und strenger Sparmaßnahmen, die darauf abzielten, das bestehende Niveau der Staatsverschuldung zu senken. In einigen Ländern, wie z. B. Griechenland, wurden die starken Kürzungen der öffentlichen Ausgaben mit erheblichem Widerstand und Anti-Austeritätsbewegungen beantwortet.

Anhand von Daten aus mehr als 200 regionalen, nationalen und europäischen Wahlen in 124 europäischen Regionen und 8 Ländern zwischen 1980 und 2015 zeigen die AutorInnen einen starken Anstieg der Stimmenanteile extremer Parteien in den Jahren nach der Großen Rezession und der Staatsschuldenkrise. Die Daten deuten auch auf eine negative Korrelation zwischen den extremen Wahlmustern der letzten Jahre und den Veränderungen bei den regionalen Staatsausgaben hin. Für jede einprozentige Kürzung der öffentlichen Ausgaben stieg der Stimmenanteil der extremen Parteien um drei Prozent. Dies lässt sich durch einen Rückgang der allgemeinen Wahlbeteiligung in Verbindung mit einem Anstieg der Gesamtstimmen für extreme Parteien erklären. Sparmaßnahmen begünstigen also nicht nur nachteilige wirtschaftliche Entwicklungen, sondern verstärken auch die politische Zersplitterung, indem sie die politischen Kosten von Wirtschaftsabschwüngen erhöhen und Misstrauen ins politische Umfeld schüren. Die Ergebnisse bleiben auch dann bestehen, wenn Zeiten extremer Abschwünge wie die Große Rezession herausgerechnet werden. Während sowohl rechtsextreme als auch linksextreme Parteien steigende Unterstützungsraten verzeichnen, ist der Anstieg bei rechtsextremen Parteien stärker.

Der Anstieg der Unterstützung für extreme Parteien ist deutlich größer, wenn die Sparmaßnahmen während einer Rezession und nicht in einer Phase des Aufschwungs durchgeführt werden. Mehr noch: sparbedingte Rezessionen führen zu einem deutlich größeren Anstieg des Stimmenanteils für extreme Parteien und somit zu mehr Misstrauen im politischen Umfeld als andere Rezessionen.

Die gesamte Studie gibt es hier.

 

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KNOWLEDGE BASE

Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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