KLIMA
Sven Giegold über die Grenzen des Wachstums
Staatssekretär Sven Giegold und Jørgen Randers, Co-Autor des Berichts des Club of Rome von 1972, diskutieren über die Grenzen des Wachstums und ihre Auswirkungen auf die deutsche Politik.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
1. SEPTEMBER 2022LESEDAUER
4 MINBereits vor 50 Jahren warnte der Club of Rome in seinem berühmten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ vor den verheerenden Folgen einer Welt, die über ihre Grenzen hinauswächst. Heute ist die Debatte über die Grenzen des Wachstums mit neuer Dringlichkeit wieder aufgeflammt. Doch inwieweit ist der Paradigmenwechsel von einer wachstumsorientierten Wirtschaft zu einer Postwachstumsära jenseits von intellektuellen Diskursen in die tatsächliche Politikgestaltung vorgedrungen?
Anlässlich unseres Symposiums zum 50. Jahrestag des Berichts von 1972 haben wir BMWK-Staatssekretär Sven Giegold eingeladen, seine Sichtweise zur Frage der Grenzen des Wachstums und ihrer Anwendbarkeit sowie ihrer Auswirkungen auf die deutsche Politik zu erläutern. Jørgen Randers, Mitverfasser des Berichts von 1972, setzte die Perspektiven der Regierung mit den vom Konsortium ermittelten Erkenntnissen in Beziehung und erläuterte seine Einschätzung dazu, ob die aktuelle Politik ausreicht, um die Welt von ihrem derzeitigen verheerenden Kurs abzubringen. Das Gespräch wurde von der Zeit-Journalistin Petra Pinzler moderiert.
Sven Giegold betonte zu Beginn seiner Keynote, dass ein ausgewogenes Wirtschaftsmodell, das soziale und ökologische Grenzen und Anforderungen berücksichtigt, bereits seit langem ein Anliegen sowohl der europäischen als auch der deutschen Politik sei. So sei sich die Politik durchaus bewusst, dass das BIP allein kein ausreichender Indikator für Wohlstand sein könne. Allerdings räumte Giegold ein, dass die Bemühungen der Regierung, die soziale und ökologische Dimension der Wirtschaft zu berücksichtigen, nicht gänzlich erfolgreich waren.
"Trotz aller Bemühungen operieren wir bisher weit über die Grenzen des Planeten hinaus. Die Beschreibung dieser Grenzen hat sich geändert, wir sprechen jetzt von planetarischen Grenzen. Aber wir müssen erkennen, dass wir - trotz aller Diskussionen und Vorschriften - versagt haben."
Gleichzeitig wies er die Vorstellung zurück, dass der Grund für dieses Scheitern einfach auf das Ziel der Steigerung des BIP zurückzuführen sei. Vielmehr fehle es an wirklich wirksamen Grenzwerten, die die Nutzung von Schlüsselindikatoren für die planetarischen Grenzen regeln. Gegenbeispiele, wie das Verbot bestimmter Chemikalien, zeigen laut Giegold, dass die Durchsetzung von Grenzwerten bei gleichzeitiger Steigerung des BIP durchaus möglich ist. Er forderte daher, die Debatte von der ewig schwelenden Frage, ob die Wirtschaft wachsen soll oder nicht, wegzuführen und sich stattdessen auf planetarische Grenzen zu konzentrieren. Dazu sollten Grenzen gehören, die weit über die oft diskutierte Reduzierung der Treibhausgasemissionen hinausgehen. Die politischen Entscheidungsträger sollten alle planetarischen Grenzen berücksichtigen, einschließlich der biologischen Vielfalt und anderer schwer zu messender Ressourcen.
"Bitte, lassen Sie uns aufhören, zu viel über das BIP zu reden. Lassen Sie uns über die Grenzen und die Möglichkeiten sprechen, darüber, was wachsen sollte und was nicht."
Giegold wies auch darauf hin, wie wichtig es ist, eine Politik der Grenzen mit einem Narrativ des Optimismus zu verbinden. Schuldgefühle seien kein erfolgsversprechender Ausgangspunkt, um Unterstützung für politische Reformen zu mobilisieren, so Giegold. Eine Wirtschaft, die die planetarischen Grenzen respektiert, muss wirtschaftlich erfolgreich sein, den sozialen Zusammenhalt sichern und die Kosten der Transformation gerecht auf die Regionen verteilen. Sie muss auch die Freiheit der Menschen respektieren, ihre eigene Version eines guten Lebens innerhalb dieser Grenzen zu wählen.
Jørgen Randers begrüßte die Gesamtposition, kritisierte aber, dass sie sich zu sehr auf akademische Definitionen und kulturelle Positionen konzentriere, wie z.B. den Menschen ihre individuelle Freiheit zuzugestehen und zu definieren, was diese umfassen kann. Stattdessen, so Randers, sollte der Schwerpunkt darauf liegen, schnell und entschlossen Unterstützung für die richtigen politischen Maßnahmen zu gewinnen. Um diesen Wandel zu erreichen und das Demokratiedefizit zu überwinden, sagte Randers, dass es möglicherweise notwendig sei, eine Vetofunktion in den Parlamenten einzurichten, das jede Gesetzgebung oder Entscheidung blockieren kann, die die Treibhausgasemissionen erhöhen würde. Er untermauerte sein Argument mit seiner Erfahrung als politischer Berater des norwegischen Parlaments und der Schwierigkeit, selbst die wohlhabende norwegische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, einen kleinen Teil ihres Einkommens zu opfern, um Norwegen bei der Erreichung seiner Klimaziele zu helfen.
Am Ende fanden beide Einigkeit in der Idee des Postwachstums: die Steigerung des Wohlbefindens der Menschen, und zwar innerhalb der planetarischen Grenzen, sollte als wichtiger angesehen werden als die Frage, ob das BIP wächst oder nicht.