NEUES LEITMOTIV

Newsletter: Deutsche Vollkaskomentalität? Von wegen / Auswertung und Short Cut zur großen Forum-Umfrage

Aus unserer Forum New Economy Newsletter Reihe

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

5. FEBRUAR 2025

LESEDAUER

2 MIN.

Die Deutschen sind ein Volk mit Vollkaskomentalität. Nirgends ist der Ruf nach dem Staat so präsent. Und überhaupt. So oder so ähnlich spotten gerade jene, die mit Verve als Alternative den freien Markt und Wettbewerb preisen – und den deutschen Mangel an Liberalismus beklagen. Das ist schon zu normalen Zeiten so. Und es ist noch mehr so in heiß laufenden Wahlkampfzeiten, wenn Nuancen schwinden.

Ob das Klischee stimmt, ist nur zweifelhaft. Das zeigt die dritte Welle der großen repräsentativen Befragung, die wir mit dpart zu den großen grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftspolitik gemacht haben. Ja, die Deutschen haben danach große Zweifel an der Selbstregulierung der Märkte – womit sie ja auch ganz und gar nicht allein sind. Mehr als 70 Prozent der Menschen im Land widersprechen dem ur-liberalen Credo, wonach „eine Gesellschaft am besten funktioniert, wenn jeder zuerst an sich denkt“. Dafür gibt es im Jahr 2025 nicht einmal unter FDP-Anhängern eine Mehrheit.

Eine große Mehrheit stimmt zu, dass die Globalisierung zu viele Verlierer mit sich gebracht hat. Oder dass das Gefälle zwischen Reich und Arm nicht mehr mit entsprechenden Leistungen zu rechtfertigen ist; was wiederum selbst knapp 80 Prozent der CDU/CSU-Wähler sagen. Und dass es gut ist, wenn nicht der Markt bestimmt, wohin es gesellschaftlich im Großen und Ganzen geht. Auch das sagen selbst viele FDP-Wähler. Darüber braucht man auch nicht spotten. Es gibt etliche ältere und viel neuere Forschung dazu, dass und wo Märkte hier und heute ihre Grenzen haben.

Daraus zu schließen, die Deutschen seien einfach Menschen mit Vollkaskomentalität, scheint nur Unsinn. Die meisten sind für technologieoffenen Wettbewerb – und immerhin noch eine (knappe) Mehrheit glaubt, dass jedes seines Glückes Schmied sei. Eine gute Wirtschaft sei die beste Sozialpolitik – sagen 80 Prozent. Was eine ebenso große Mehrheit will, ist ein Staat, der Voraussetzungen schafft. Etwa über Investitionen in Schulen, Bildung oder Klimaschutz. Oder darüber, dass er gegen die Überforderung durch wirtschaftliche Umbrüche schützt. Oder positive Anreize setzt, sich klimaschonend zu verhalten – statt schlechtes Verhalten zu bestrafen.

All das ist weit differenzierter als die simplen Formeln, die im tosenden Wahlkampf wirtschaftspolitisch zur Alternative stilisiert werden. Die Deutschen scheinen weit mehrheitlich weder zurück zur naiv-marktliberalen Heilslehre zu wollen – noch einen Staat zu erträumen, der alle Risiken beseitigt oder sich darauf beschränkt, die Folgen von Umbrüchen zu kompensieren, statt sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Höchste Zeit, besser zu verstehen, was die Menschen ökonomisch wirklich bewegt – statt sie mit allzu plumpen Klischees zu belegen.

Was all das im auslaufenden Wahlkampf und darüber hinaus bedeutet, haben wir heute in unserem New Economy Short Cut Jens Südekum, Maja Göpel und Achim Wambach diskutiert – nachzuhören im Re-live danach (zu dem wir in den nächsten Tagen auch eine englische Übersetzung anbieten werden).

Die ganze Analyse mitsamt Detaildaten gibt es hier. Die ZEIT hat dazu heute einen Gastbeitrag veröffentlicht – hier.

Zur separaten Auswertung der Fragen zu Staatsschulden und Rolle des Staates geht es hier.

 

Eine schöne Restwoche,

Thomas Fricke

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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