NEUES LEITMOTIV

Warum es einen neuen Liberalismus braucht – und was das bedeutet

Timothy Garton Ash beschreibt, was auf den gescheiterten technokratischen Wirtschaftsliberalismus der vergangenen drei Jahrzehnte folgen sollte.

VON

MARC ADAM

VERÖFFENTLICHT

29. JANUAR 2021

LESEDAUER

2 MIN

Kann man Liberaler sein – und trotzdem einräumen, dass der (dominierende wirtschaftliche) Liberalismus der vergangenen Jahrzehnte gescheitert ist? Kann man. Zumindest außerhalb Deutschlands, wo das schon zum guten Ton auch unter Liberalen gehört. Wie ein „neuer Liberalismus“ aussehen könnte, hat Timothy Garton Ash gerade in einem Essay eindrucksvoll dargelegt. Anregend.

In dem Essay, das im Deutschen gerade in der Neuen Züricher Zeitung und im Englischen im Magazin Prospect erschien, argumentiert der anerkannte Historiker von der Universität Oxford, dass der Liberalismus der letzten 30 Jahre sich zu einseitig auf die Wirtschaft fokussiert hat. Mit fatalen Folgen für unsere Gesellschaft. So ist beispielsweise die Sterberate in den USA bei weißen Männern zwischen 45 und 54 mit College-Abschluss seit den 1990er Jahren um 40 Prozent gefallen, jener ohne Abschluss aber um 25 Prozent gestiegen. „Frei sein kann nur, wer nicht tot ist“, proklamiert Ash und beruft sich dabei auf namenhafte liberale Philosophen wie John Rawls und John Stuart Mill.

Um solch drängende Probleme wie die eklatante Ungleichheit anzugehen, müssen auch die Liberalen radikalere Massnahmen unterstützen, fordert Ash.

So schlägt er unter anderem eine negative Einkommenssteuer (wie sie schon Milton Friedman empfahl), ein bedingungsloses Grundeinkommen (das bei einer Umfrage seines Forschungsteams in Oxford überwältigende 71 Prozent der Europäer bejahten), ein steuerfinanziertes universales Minimalerbe, sowie allgemeine Grundversorgung für Gesundheit, Wohnung und soziale Sicherheit vor.

Und noch mehr. Timothy Garton Ash fordert sogar „die Jagd auf die Billionen von Dollar, die sich in den Steueroasen der Welt verstecken, eine Vermögenssteuer, höhere und effektiver erhobene Steuern für Digitalunternehmen wie Facebook und eine Besteuerung der Grundstücke.“

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