NEUES LEITMOTIV
ReLive: Vom Exportwunder in die deutsche Krise – Mit Wolfgang Muenchau und Kommentaren von Sander Tordoir
Im jüngsten New Economy Short Cut vom 18. August diskutierten Wolfgang Münchau und Sander Tordoir über die strukturellen Probleme des deutschen Wirtschaftsmodells - insbesondere die starke Exportabhängigkeit.
VON
DAVID KLÄFFLINGVERÖFFENTLICHT
12. AUGUST 2025LESEDAUER
5 MIN
Je länger in den vergangenen beiden Jahren die deutsche Wirtschaft kriselte, desto wüster wurden die Forderungen: müssen die Deutschen einfach mehr arbeiten? Einfach Feiertage gekürzt werden? Wie Wolfgang Münchau in seinem Buch Kaput argumentiert, liegen die Probleme tiefer – in der starken Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft. Sind mangelnde Innovationskraft und energiepolitische Kurzsichtigkeit letztendlich auch eine Folge der neomerkantilistischen Logik des „Exportmeister“-Modells?
Wolfgang Münchaus Diagnose deutscher Stagnation ist klar: ein eklatantes Missverhältnis zwischen Exportüberschüssen und heimischen Investitionen. Zum Teil die Folge der schwarzen Null. Aber Deutschland habe sich auch zu lange auf das Mantra des Exportweltmeisters verlassen – auf Kosten von Innovation und Digitalisierung. Neue Schlüsseltechnologien wie KI, Umwelttechnologien oder Elektromobilität? Werden jetzt angeführt von den USA und China.
Bereits Ludwig Erhard wusste, dass Wirtschaft zur Hälfte Psychologie ist. Auch Wolfgang Münchau und Sander Tordoir betonten die Notwendigkeit für ökonomisches Umdenken. Weg von einem Narrativ, das die Dienstleistung als „tertiären Sektor“ abwertet und die ganze Volkswirtschaft mit einer Hand voll Industrieunternehmen gleichsetzt. Währenddessen zeigt ein Blick nach Dänemark oder in die Niederlande, wie moderner Strukturwandel auch gehen könnte: digital, effizient – und produktivitätsstark.
Laut Münchau ist eine europäische Reform des Finanz- und Kapitalmarktes (Stichwort: Banken- und Kapitalmarktunion) ein erster wichtiger Pfeiler. Was das amerikanische Finanzsystem so stark macht, ist die Tiefe des Kapitalmarkts – nicht zuletzt durch einen riesigen und liquiden Markt für US-Staatsanleihen. Ohne gemeinsame Eurobonds ist das für Europa nicht denkbar. Die Kehrseite wäre dann aber auch eine Fiskalunion, was politisch nicht durchsetzbar scheint.
Tordoir verwies darauf, dass Abhängigkeiten vom russischem Gas und Konkurrenz mit chinesischen Auto- und Maschinenbauherstellern etwa 80% des deutschen Wachstumsverlusts ausmachen. Daher sei es wenig verständlich, dass sich die deutsche Debatte fast ausschließlich über Regulierung dreht. Vielmehr brauche es eine andere Industriepolitik, um Investitionen zu fördern und Deindustrialisierung abzufedern: nicht mehr nur die Verlierer von gestern alimentieren, sondern hin zu langfristigen Strategien und echten Zukunftsmärkten – Clean Tech, Digitalisierung, E-Mobilität. Subventionen ja, aber mit klaren Zielen. Und mit Blick auf Europa und die Potenziale des EU-Binnenmarktes.