UNGLEICHHEIT

Vermögensbildung: Wie schlecht geht es den deutschen Unternehmen wirklich?

Neues Forum Papier - Es herrscht Krisenstimmung in der deutschen Wirtschaft. Dabei wird übersehen, dass insbesondere große Unternehmen über die letzten Jahrzehnte beträchtliche Ersparnisse angehäuft haben, ihre Eigenkapitalbasis stärken und Eigentümer damit ihre Vermögen ausbauen konnten.

VERÖFFENTLICHT

31. JULI 2024

Es herrscht Krisenstimmung in der deutschen Wirtschaft. Es wird behauptet, Deutschland sei als Investitionsstandort dem Untergang geweiht: Nicht nur habe man den Wachstumstreiber Technologie verschlafen und sei zum Ramschladen geworden, man sei ökonomisch gesprochen gar auf dem Weg zum Entwicklungsland. Die Unternehmen fordern ihrerseits zunehmend weniger Bürokratie und eine Senkung der Unternehmenssteuern, um wettbewerbsfähigere Bedingungen zu schaffen und Investitionshemmnisse abzubauen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Forums New Economy entkräftet diese Argumente. Tatsächlich wird oft übersehen, dass gerade große Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Ersparnisse angehäuft, ihre Eigenkapitalbasis gestärkt und ihren Eigentümern einen Vermögensaufbau ermöglicht haben.

Die Studie untersucht die Wirtschaftskraft und die Mittelverwendung der deutschen börsennotierten Unternehmen. Auch wenn Deutschland für seinen Mittelstand und kleine, tradierte Familienunternehmen bekannt ist, so macht der Umsatz der etwa 400 börsennotierten Unternehmen etwa 38 Prozent der Umsätze des gesamten Unternehmenssektors aus. Überdies liegt der Anteil der Familienunternehmen auch hier bei etwa 43 Prozent, was gegen die landläufige Überzeugung spricht, dass es sich bei Familienunternehmen vornehmlich um inhabergeführte, kleine Betriebe handele.

Makroökonomische Daten zeigen, dass der deutsche Unternehmenssektor zum Nettosparer geworden ist: Während er sich historisch bei anderen Sektoren verschuldet hat, um Investitionen zu finanzieren, erwirtschaftet er seit den frühen 2000er Jahren einen finanziellen Überschuss. Dabei zeigen sich unter Nutzung von Unternehmensdaten Unterschiede in der Mittelverwendung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen: Während letztere etwa 8 Prozent ihrer Bruttowertschöpfung an Aktionäre ausschütten, sind es bei Familienunternehmen weniger als 5 Prozent, was als eine geringere Shareholder-Value-Orientierung dieser Unternehmen interpretiert werden dürfte. Durch maßgebliche Stimmrechte in Familienhand haben Eigentümer mit kleineren Aktienpaketen vergleichsweise wenig Möglichkeiten, höhere Ausschüttungen einzufordern bzw. durchzusetzen. Auch ist der Anteil der Löhne an der Bruttowertschöpfung bei Familienunternehmen mit etwa 50 Prozent etwa 7 Prozentpunkte niedriger als bei Nichtfamilienunternehmen. Der Rückgang der Lohnquote zeigt sich insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, in dem die Familienunternehmen besonders konzentriert sind. Beide Trends zeigen sich nach der Finanzkrise.

Die Unterschiede in der Mittelverwendung führen zu deutlichen Unterschieden in der Bruttoersparnis der Unternehmen.

Insbesondere bei börsennotierten Familienunternehmen hat die Bruttoersparnis gemessen an der aggregierten Wertschöpfung zugenommen, von unter 30 Prozent im Jahr 2002 auf knapp unter 40 Prozent im Jahr 2019.

Blickt man auf die Bilanz, so zeigt sich im Aggregat auch eine deutliche Steigerung der Eigenkapitalquote und insbesondere der einbehaltenen Gewinne der börsennotierten Unternehmen. Letztere betrugen bei Nichtfamilienunternehmen im Jahr 2002 knapp 10 Prozent der Bilanzsumme und sind auf knapp 16 Prozent im Jahr 2019 angestiegen. Bei Familienunternehmen zeigt sich ein noch stärkerer Trend auf höherem Niveau: Von 15 Prozent auf über 25 Prozent im selben Zeitraum.

Diese Art der Mittelverwendung läuft – ob beabsichtigt oder nicht – langfristig auf eine Vermögensbildung in diesen Unternehmen hinaus und nützt damit insbesondere ihren Eigentümern. Diese sind, gemessen an der Vermögensverteilung in Deutschland, insbesondere in den Top-1-Prozent konzentriert. Der Vergleich mit dem gesamten börsennotierten Aktienvermögen deutscher Haushalte zeigt, dass ein Großteil aus beherrschenden Anteilen besteht, die sich in Familienbesitz befinden. Im Jahr 2019 etwa entfällt mehr als die Hälfte des direkt gehaltenen Aktienvermögens auf allein 141 Familien, die größtenteils zur absoluten Spitze der Vermögensverteilung zählen.

Viele dieser Unternehmensvermögen sind verfestigt und befinden sich seit vielen Generationen im Besitz derselben Familien. Die Vermögensbildung dieser Unternehmen wird durch das steuerpolitische Umfeld in Deutschland begünstigt: Die Aussetzung der Vermögenssteuer, weitreichende Unternehmenssteuerreformen in den 2000er Jahren sowie die großzügigen Ausnahmen der Betriebsvermögen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer führen zu einer signifikanten Konzentration des Vermögens bei wenigen, sehr wohlhabenden Familien.

Diese Entwicklungen sind nicht nur mit Blick auf die hohe Vermögensungleichheit und deren gesellschaftlichen und politischen Folgen in Deutschland ein Problem. Die Perpetuierung der Eigentumsverhältnisse kann auch eine wenig dynamische Unternehmenslandschaft begünstigen, die aufgrund mangelnder Bereitschaft zur strukturellen Veränderung langfristig die Gefahr einer Fehlallokation von Ressourcen birgt. Das spiegelt sich auch im internationalen Standortranking des IMD World Competitiveness Center wider, wonach Deutschland jüngst nicht nur aufgrund mangelhafter wettbewerbspolitischer Rahmenbedingungen zwei Plätze abgefallen ist. Auch sind Unternehmen in Deutschland zu langsam, wenn es um die Entwicklung und Integration von Zukunftstechnologien geht.

All dies zeigt: Während der Wunsch nach Planbarkeit und Forderungen an die Politik insbesondere in Zeiten von hohen Energiekosten, Inflation, Fachkräftemangel und Klimakrise durchaus gerechtfertigt sind, ist eine Dramatisierung der Situation seitens der Unternehmen weder zielführend noch angemessen. Die Unternehmen selbst stehen ebenfalls in der Bringschuld, den Standort Deutschland zu stärken und der Transformation mutig zu begegnen. Anstatt einzig auf politische Lösungen zu warten, können sie durch verstärkte Investitionen und agile Geschäftsmodelle einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung und Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland leisten. Die erforderlichen Mittel dafür sind vorhanden.

Autoren: Carmen Giovanazzi und Vincent Victor promovieren am Institut für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. 

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