DER STAAT

Highlights - Ein Gespräch zwischen Joseph E. Stiglitz und Olaf Scholz

Wir fassen das Gespräch auf dem 7. New Paradigm Workshop zwischen dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD zusammen.

VON

MARC ADAM

VERÖFFENTLICHT

30. SEPTEMBER 2020

LESEDAUER

4 MIN

Der zweite Tag des Workshops endete mit einem Gespräch zwischen dem Nobelpreisträger und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Columbia University, Joseph E. Stiglitz, und Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

In seinem Eröffnungsstatement stellte Prof. Stiglitz drei Punkte heraus:

– Stiglitz hob die erfolgreiche Reaktion Deutschlands auf die Korona-Krise hervor. Die Krise hat sich schnell zu einer massiven Wirtschaftskrise rund um den Globus entwickelt. Und ein Grund, warum die Situation in den USA viel schlimmer ist als in Europa, ist das europäische Sozialversicherungssystem, das es in den USA nicht gibt. Stiglitz bemerkte, dass „Deutschland auf die Krise mit der Erkenntnis reagierte, dass die Steuerpolitik von entscheidender Bedeutung ist“.

– Stiglitz kommentierte die europäische Antwort und argumentierte, dass es eine größere gemeinsame Antwort geben müsse. Es sollte mehr Zuschüsse als Kredite geben, und die Eurozone muss sich mit der Frage befassen, wie die neuen Schulden getilgt werden sollen. Er schlägt vor, dass Europa ein System der progressiven Besteuerung braucht.

– Stiglitz erörterte das Potenzial einer künftigen Inflation und wies darauf hin, dass das Problem derzeit eine massive Deflation sei. Die Zinssätze liegen bei Null und die Geldpolitik ist weitgehend unwirksam. Deshalb muss die Finanzpolitik derzeit im Mittelpunkt der Krisenbewältigung stehen. Irgendwann könnte es zu einer Inflation kommen, aber wenn es so weit ist, haben wir genügend Instrumente, um dieses Problem zu lösen. Das könnte zum Beispiel eine Finanztransaktionssteuer sein. In jedem Fall werden sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik zur Verfügung stehen.

Olaf Scholz antwortete auf die Bemerkungen von Stiglitz, dass Deutschland sehr schnell reagiert habe, um der Wirtschaftskrise zu begegnen. Was Europa betrifft, so sagte Scholz, dass die Schaffung des Rettungsfonds ein Hamilton’scher Moment gewesen sei.

Nicola Brandt (OECD, Berlin), die den Vortrag moderierte, lenkte die Diskussion auf die institutionelle Ausgestaltung und den Zweck von Fiskalregeln. Welche Regeln würde Stiglitz vorschlagen, wenn Scholz auf den Berg Sinai ginge, um sie zu empfangen? Stiglitz erinnerte an die alten Regeln wie die max. 60 % Verschuldung im Verhältnis zum BIP und die 3 %-Defizitregel, die seiner Meinung nach aus der Luft gegriffen waren. Stattdessen schlug Stiglitz umfassendere Regeln vor und argumentierte, dass es einen neuen Vertrag zwischen Staat, Märkten und Zivilgesellschaft geben müsse. „Wir müssen anerkennen, dass die Märkte nicht automatisch zu Vollbeschäftigung und voller Kapazität zurückkehren“.

Scholz fügte hinzu, dass Deutschland mit einer Schuldenquote von unter 60 % des BIP gestartet sei. Und obwohl sie jetzt auf etwa 75 % ansteigt, wird sie allein aufgrund des BIP-Wachstums bald von selbst zurückgehen. Olaf Scholz wies darauf hin, dass sich die Wirtschaft viel schneller erholt als erwartet.

Mit Blick auf Europa sagte Scholz, dass Europa eine viel bessere Zusammenarbeit bei den Steuern brauche, weshalb er sich für die Durchsetzung einer Mindestkörperschaftssteuer auf OECD-Ebene einsetze.

In Bezug auf die USA sagte Joe Stiglitz, er sei optimistisch, dass im Januar eine neue Regierung antreten werde, die sich stärker für die Eindämmung der Steuervermeidung und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf der ganzen Welt einsetzen werde, um ein effizienteres und gerechteres Steuersystem zu schaffen. Aber Stiglitz sagt, dass das Minimum der Unternehmenssteuern bei 25 % liegen muss.

Bei der Frage, wie viel und wofür die deutsche und die europäische Regierung ihr Geld ausgeben sollten, erwähnten sowohl Stiglitz als auch Scholz Infrastrukturinvestitionen zur Ökologisierung der Wirtschaft. Insgesamt schienen sich beide einig zu sein, dass es Anzeichen für einen Paradigmenwechsel gibt und dass die Finanzpolitik eine wichtige Rolle spielt. Allerdings muss die Finanzpolitik eine Vision haben und sollte umsichtig sein.

Das ganze Gespräch

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Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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