NEUES LEITMOTIV
The Berlin Summit 2025: Leaving German austerity behind – a new fiscal age for Europe?
In dieser Podiumsdiskussion auf dem Berliner Summit 2025 reflektierten Experten aus Frankreich, Deutschland und Spanien über die jüngste deutsche fiskalische Wende und ihre Auswirkungen auf den europäischen Rahmen. Die Diskussion zeigte sowohl Optimismus über pragmatische Fortschritte als auch Bedenken über institutionelle Starrheit und politische Zwänge.
VON
FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
19. JUNI 2025
Die Podiumsdiskussion brachte vier prominente Ökonomen – Christian Kastrop, Jérôme Creel, Holger Schmieding und Nacho Alvarez – zusammen, die unterschiedliche Ansichten darüber vertraten, ob Europas fiskalische Regeln einer grundlegenden Strukturreform bedürfen oder innerhalb des bestehenden Rahmens angepasst werden können.
Christian Kastrop, einst einer der Architekten der deutschen Schuldenbremse und heute Präsident und CEO der Global Solutions Initiative, eröffnete die Diskussion mit einer historischen und reflektierenden Perspektive. Er räumte ein, dass die ursprüngliche Absicht der Schuldenbremse darin bestand, Haushaltsdisziplin durchzusetzen, dass es aber in den letzten zehn Jahren bei ihrer Anwendung an Flexibilität gefehlt hat. Er betonte, dass die Regel nie „in Stein gemeißelt“ war und an die sich entwickelnden wirtschaftlichen Realitäten angepasst werden konnte. Kastrop argumentierte, dass das Problem nicht die Regel an sich sei, sondern vielmehr die Art und Weise, wie die politische Ökonomie ihre Anwendung beeinflusst habe. Er begrüßte die jüngsten verfassungsmäßigen Ausnahmen für Militärausgaben und Infrastrukturinvestitionen in Deutschland als Zeichen dafür, dass die finanzpolitische Orthodoxie einer anpassungsfähigeren Politik Platz macht.
„... vielleicht können wir von diesem Punkt aus jetzt bessere oder passendere Regeln schaffen, die auch der völlig anderen politischen und fiskalischen Wirtschaft Rechnung tragen, mit der wir gerade konfrontiert sind.“

Jérôme Creel, Forschungsdirektor am Pariser Observatoire Français des Conjonctures Économiques (OFCE) und außerordentlicher Professor an der ESCP, ging auf die zentrale Frage ein, ob Deutschlands fiskalischer Stimulus funktionieren würde und ob er als Katalysator für breitere europäische Reformen dienen könnte. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur identifizierte er fünf Bedingungen, unter denen die Fiskalpolitik wirksam ist: politische Gewissheit, koordinierte Geldpolitik, Timing des Konjunkturzyklus, Absorptionsfähigkeit und Einhaltung der Vorgaben der Europäischen Kommission.
Der Ökonom warnte davor, dass die derzeitigen geopolitischen und geldpolitischen Unsicherheiten – insbesondere in Bezug auf die Reaktionen der EZB – die Multiplikatoreffekte der deutschen Konjunkturmaßnahmen verringern könnten. Er sah jedoch das Potenzial für positive Spillover-Effekte in der gesamten Eurozone, insbesondere wenn die öffentlichen Investitionen in Deutschland das Vertrauen und das Wachstum stärken.
Er gab auch zu bedenken, dass Deutschland aufgrund seiner Kapazität und Glaubwürdigkeit zwar die Haushaltsregeln umgehen könne, andere Länder wie Frankreich sich einen solchen Spielraum jedoch nicht leisten könnten. Frankreichs Haushaltsdefizit und die schwachen öffentlichen Dienstleistungen machen eine breite fiskalische Expansion ohne Strukturreformen oder neue Einnahmequellen unhaltbar. Er kam zu dem Schluss, dass eine Reform der europäischen Regeln notwendig sei, aber durch uneinheitliche Durchsetzung und mangelnde Klarheit erschwert werde.
"Deutschland wird über die fiskalischen Regeln hinausgehen, um einen fiskalischen Impuls zu setzen, und wir gehen über die fiskalischen Regeln hinaus, weil wir keine Disziplin beweisen können. Also okay, es funktioniert nicht."

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, äußerte sich pragmatisch und vorsichtig optimistisch. Er begrüßte Deutschlands fiskalische Kehrtwende als notwendig und potenziell wirksam. Im Gegensatz zu früheren einmaligen Konjunkturpaketen betonte er, dass die gestaffelten, mehrjährigen Ausgabenpläne eher die Produktion ankurbeln als die Inflation anheizen könnten.
Er wies darauf hin, dass China zwar eine Herausforderung für das deutsche Exportmodell darstelle, der Anteil des innereuropäischen und amerikanischen Handels aber zunehme. Entscheidend sei es, kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, im Inland zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Schmieding betonte auch, dass die derzeitige Flexibilität Deutschlands nicht auf Sparmaßnahmen, sondern auf jahrelanges robustes Beschäftigungswachstum und finanzpolitische Umsicht zurückzuführen sei.
In Bezug auf den breiteren europäischen Finanzrahmen bezweifelte er, dass Deutschland oder die EU bald größere Vertragsänderungen beschließen würden. Er sagte jedoch eine pragmatische Anwendung der bestehenden Regeln voraus, insbesondere angesichts geopolitischer Prioritäten wie der Unterstützung der Ukraine. Er warnte auch davor, dass Brüssel bei Regelverstößen ein Auge zudrücken könnte, während die Finanzmärkte – die „Bond Vigilantes“ – ihre eigene Disziplin durchsetzen könnten.
"In Deutschland sollten wir uns jetzt in Demut üben."

Nacho Alvarez, ehemaliger spanischer Staatssekretär für soziale Rechte und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Autonomen Universität Madrid, stellte Spanien als Fallbeispiel für eine erfolgreiche fiskalische Transformation vor. Im Gegensatz zur spanischen Sparpolitik nach 2008 erläuterte er die Umstellung des Landes auf eine expansive Steuerpolitik, Lohnerhöhungen und eine Re-Regulierung der Industrie im Zuge der COVID-19-Krise.
Diese Maßnahmen, so Alvarez, hätten Spanien geholfen, das BIP vor der Pandemie innerhalb von 18 Monaten wieder zu erreichen und über 2 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Entgegen den Warnungen der Kritiker haben die Anhebung des Mindestlohns und die Stärkung der Tarifverhandlungen weder den Unternehmensgewinnen noch der fiskalischen Stabilität geschadet. Stattdessen trieben ein starker Konsum und hohe Investitionen das Wachstum an und verringerten gleichzeitig das Defizit.
Alvarez vertrat die Ansicht, dass fiskalischer Spielraum manchmal durch progressive Besteuerung und umsichtige Ausgaben geschaffen werden kann. Er rief dazu auf, sich nicht nur darauf zu konzentrieren, wie viel ausgegeben wird, sondern auch darauf, was finanziert wird. Für langfristige Investitionen – insbesondere in den Bereichen Klima und digitale Infrastruktur – befürwortete er einen permanenten Eurobond-Mechanismus. Er räumte zwar ein, dass groß angelegte EU-Reformen politisch schwierig sind, sah aber einen Nutzen in der Neuinterpretation der aktuellen Regeln, um goldene Regeln und Ausnahmen für öffentliche Investitionen zu ermöglichen.
„Fiskalischer Spielraum kann manchmal geschaffen werden ... und genutzt werden, um die Richtung zu ändern.“

Fazit
Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass Deutschlands finanzpolitische Wende einen Bruch mit der Vergangenheit darstellt. Die Redner waren sich jedoch uneinig darüber, wie weit die Umstellung gehen könnte oder sollte – insbesondere im Hinblick auf die Neugestaltung der EU-weiten Regeln und Institutionen: Kastrop und Schmieding sahen politische und rechtliche Hindernisse für eine groß angelegte europäische Fiskalkapazität, sprachen sich aber für gezielte Reformen und eine flexiblere Anwendung der Regeln aus, Creel drängte auf tiefgreifende Strukturreformen auf EU-Ebene und Alvarez betonte die Bedeutung einer progressiven Besteuerung und des Einsatzes fiskalischer Instrumente zur Umgestaltung der Wirtschaft und nicht nur zu deren Stabilisierung.
Während die Aussichten für eine Vertragsreform begrenzt erscheinen, schlugen die Diskussionsteilnehmer pragmatische Anpassungen vor: den deutschen Infrastrukturfonds dauerhaft zu machen, die makroökonomische Logik in die fiskalischen Regeln einzubetten und Beschränkungen neu zu interpretieren, um strategische Investitionen zu ermöglichen. Ob die deutsche fiskalische Wende zu einem widerstandsfähigeren und investitionsorientierten Europa führen wird, bleibt abzuwarten.