NEUES LEITMOTIV
The Berlin Summit 2025: Isabella Weber im Gespräch
Isabella Weber fordert auf dem Berlin Summit 2025 eine antifaschistische Wirtschaftspolitik – als Antwort auf soziale Krisen, demokratische Erosion und rechte Umtriebe.
VON
GERRIT TER HORSTVERÖFFENTLICHT
17. JUNI 2025
In ihrer Rede auf dem Berlin Summit 2025 sprach Ökonomin Isabella Weber über die Notwendigkeit einer explizit antifaschistischen Wirtschaftspolitik. Ausgehend von einem Tweet, den sie in der Wahlnacht von Donald Trumps Wiederwahl absetzte („Könnten wir endlich ernsthaft über antifaschistische Wirtschaftspolitik sprechen?“), entfaltete sie eine Reihe grundlegender Überlegungen – nicht als fertiges Konzept, sondern als Einladung zur Debatte.
Zwei Prämissen liegen ihrer Argumentation zugrunde: Erstens, dass wirtschaftliche Ursachen – etwa Austerität, Unsicherheit und soziale Frustration – eine zentrale Rolle für den Aufstieg der extremen Rechten spielen. Und zweitens, dass es reale faschistische Tendenzen gibt, die – auch wenn nicht identisch mit historischen Faschismen – ernst genommen werden müssen. In Anlehnung an Umberto Ecos Essay „Ur-Faschismus“ zählt Weber typische Merkmale heutiger faschistoider Politik auf: Traditionskult, Ablehnung der Moderne, irrationale Aktion um ihrer selbst willen, Ausgrenzung von Andersdenkenden, nationalistische Ersatzidentität, Dauerchaos als Herrschaftsinstrument, selektiver Populismus und eine verarmte Sprache, die differenzierte Debatten verunmöglicht.
Weber warnt davor, diese Entwicklungen zu unterschätzen. Gerade in den USA – so eine Publikumsfrage – ließen sich viele dieser Züge bereits beobachten. Doch auch in Europa sei der Boden fruchtbar: steigende Lebenshaltungskosten, Wohnungskrise, teure Bildung – all das sorge für wachsende Unzufriedenheit, die rechte Bewegungen ausnutzen.
Was also ist eine antifaschistische Wirtschaftspolitik? Weber verweist auf die Debatten der 1940er-Jahre, als die Rückkehr des Faschismus nach dem Krieg aktiv verhindert werden sollte. Hayek und Polanyi, beide 1944 veröffentlicht, stehen dabei exemplarisch für gegensätzliche Wege. Die westliche Politik sei in den letzten Jahrzehnten eher Hayeks Linie gefolgt. Doch angesichts der heutigen „poli-crisis“ sei dieser Weg nicht mehr tragbar. Polanyis Ideen seien daher ein produktiver Ausgangspunkt.
Vier Punkte hebt Weber hervor: Erstens die Unvereinbarkeit von Demokratie und extrem konzentriertem wirtschaftlichem Einfluss, wie etwa durch Konzerne in den Bereichen Energie, Nahrung und Mobilität. Zweitens die Notwendigkeit, essentielle Lebensbereiche – Natur, Arbeit, Pflege, Wohnen – vom Marktprinzip zu befreien. Drittens fordert sie eine „functional finance“-Strategie, inklusive Jobgarantie und mehr fiskalischem Handlungsspielraum, auch jenseits eines „Dollar-Standards“. Viertens brauche es neue internationale Ordnungsmechanismen jenseits von Freihandel vs. Protektionismus.
Weber betont, dass es nicht genüge, rein technokratische oder sektorale Antworten zu geben, wie etwa reine Industriepolitik. Diese sei oft zu weit entfernt vom Alltag der Menschen. Stattdessen brauche es Lösungen, die spürbar im Hier und Jetzt wirken – insbesondere bei der Bewältigung der Lebenshaltungskostenkrise. Auch die Klimapolitik müsse so gestaltet sein, dass sie das Leben für die breite Bevölkerung verbessert, statt nur Verzicht zu kommunizieren.
Am Ende ruft Weber dazu auf, den Mut zu entwickeln, neue Visionen zu formulieren. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit ihres Gelingens gering, aber angesichts der Tiefe der aktuellen Krise müsse – nach einem Gedanken von Erich Fromm – gehandelt werden wie in der Medizin: Auch wenn die Erfolgschancen gering sind, ist es Pflicht zu handeln, wenn es um das Überleben geht.