NEUES LEITMOTIV

The Berlin Summit 2025: Adam Toozes Keynote: "Statt Weltordnung lieber Welt ordnen"

In seiner Keynote am Freitag des Berlin Summit hinterfragte Adam Tooze die verbreitete Sehnsucht nach einer neuen Weltordnung – und plädierte stattdessen für ein dynamischeres Verständnis von globaler Gestaltung: weniger als fertige Ordnung, sondern als fortlaufender Prozess des Welt-Ordnens.

VON

GERRIT TER HORST

VERÖFFENTLICHT

17. JUNI 2025

In seiner Keynote beim Berlin Summit 2025 hinterfragt Adam Tooze das allgegenwärtige Bedürfnis nach einem „neuen Weltordnungsmoment“ in einer Zeit, die von Instabilität, geopolitischen Verwerfungen und wachsendem Zweifel an globalen Institutionen geprägt ist. Ausgehend von der Frage, wer die neue Ordnung gestalten könnte, argumentiert Tooze, dass allein die Formulierung dieser Frage ein Verlangen nach Klarheit und Kontrolle ausdrückt – in einer Welt, die sich zunehmend der Planbarkeit entzieht.

Tooze wählt das historische Beispiel von Bretton Woods – oft als Symbol eines gelungenen Ordnungsakts zitiert – als zentrales Narrativ. Er beschreibt es nicht als Erfolgsgeschichte, sondern als eine Kette von Verzögerungen, Umwegen, politischen Krisen und letztlich als ein System, das stark von der Machtposition der USA geprägt war. Seine These: Die historische Verklärung dieses Moments als rationaler, stabiler Ordnungsentwurf verkennt die Realität seiner Instabilität und politischen Asymmetrie.

Zudem verweist Tooze auf psychologische, politische und kulturelle Motive, die unsere Fixierung auf solche historischen Ordnungsmomente begünstigen. Er analysiert die implizite Suche nach Sicherheit, Vorhersagbarkeit und Fairness – Werte, die in der heutigen Weltordnung zunehmend unter Druck geraten. Mit einem Seitenblick auf Deutschland diagnostiziert er dabei auch ein „hegemoniales Mitläufertum“: Deutschland habe oft von den Ordnungen anderer profitiert, sei aber selten selbst Gestalter globaler Regeln gewesen.

Ein zentrales Argument Tooze‘ ist die Notwendigkeit, von der Vorstellung eines „großen Designs“ – etwa eines neuen Bretton-Woods-Moments – abzurücken. Stattdessen plädiert er für ein Denken in „Welt-Ordnung“ (world ordering) statt „Weltordnung“. Nicht ein einziger, verbindlicher Ordnungsrahmen sei entscheidend, sondern dynamische, wiederholte Entscheidungen, Kooperationen und „Deals“. Der Begriff „Deal“, so Tooze, müsse rehabilitiert werden – nicht als Trumpsches Machtspiel, sondern als pragmatischer Weg, Interessen in einer komplexen Welt in Einklang zu bringen.

Tooze geht dabei auch auf die Rolle Chinas ein. Er beschreibt das Land nicht als Erbe einer amerikanisch geprägten Weltordnung, sondern als aktiven Akteur einer eigenen Form von „Weltgestaltung“ – geprägt von wirtschaftlicher Verflechtung, technologischen Netzwerken und strategischen Investitionen. Chinas Fokus liege nicht auf einer regelbasierten Ordnung nach westlichem Vorbild, sondern auf großflächiger nationaler Entwicklung – mit weitreichenden globalen Folgen.

Am Ende bleibt eine Botschaft: Zwar sei klar, wie eine neue Ordnung aussehen müsste – dezentral, pragmatisch, kooperativ –, doch die politische Realität, insbesondere in Europa, spreche gegen deren baldige Verwirklichung. Tooze schließt mit dem Hinweis, dass die entscheidenden Akteure dieser neuen Ordnung bereits handeln – nur eben nicht dort, wo die Frage nach ihr am lautesten gestellt wird.

Keynote by Adam Tooze

Interview with Adam Tooze

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