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der New-Economy-Ticker
Aktuelle Nachrichten, Debatten, Vorschläge und Entwicklungen zum neuen ökonomischen Denken auf einen Blick.
Ein großes ökonomisches Rätsel der letzten Jahre ist der Rückgang privater Investitionen. Und das, obwohl es angesichts des Klimawandels an Investitionsbedarfen nicht mangelt. Dennoch halten sich auch DAX-Unternehmen mit Investitionen zurück und nutzen die Gewinne stattdessen für Dividendenausschüttungen an Aktionäre oder der Erhöhung ihrer Barbestände, wie eine neue Studie von Finanzwende Recherche und Oxfam Deutschland zeigt.
Die Autoren diskutieren die Möglichkeit, die Unternehmen über Reformen des Gesellschaftsrechts wieder stärker an das Gemeinwohl zu binden. Dafür solle im Sinne des Grundsatzes „Eigentum verpflichtet“ eine Neudefinition des Unternehmenszwecks auch ökologische und soziale Aspekte einschließen. Zudem könne die Investitionslücke über eine Begrenzung der Dividendenausschüttungen und eine Investitionspflicht verkleinert werden. All diese Instrumente könnten dazu beitragen, kurzfristig angelegte Profitmaximierung durch eine Gemeinwohlorientierung abzulösen.
Eine Kurzfassung der Studie finden Sie hier.
Das OECD-Projekt New Approaches to Economic Challenges (NAEC) hat mit Government Economists for New Economic Systems (GENESYS) eine Plattform ins Leben gerufen, die es Ökonomen im Staatsdienst und politischen Entscheidungsträgern erleichtern soll, über Ansätze für neues ökonomisches Denken zu diskutieren. Insbesondere soll die Plattform einen Diskurs über „systemische strukturelle Probleme, die die Zukunft bedrohen“ ermöglichen, um so politische Alternativen zu erproben, die besagte Probleme lösen könnten. Das Ziel ist es, neue analytische Fähigkeiten innerhalb von Regierungen zu fördern. GENESYS ist als ein informelles Netzwerk von Delegierten aus einzelnen Ländern konzipiert, vor allem, aber nicht nur ausschließlich, aus Finanzministerien und Zentralbanken.
Verfolgen Sie den Webcast zur Eröffnung der Plattform mit Paschal Donohoe, Präsident der Eurogruppe, und anderen am 4. November, 14:00-16:00 Uhr GMT. Forum Direktor Thomas Fricke wird ebenfalls anwesend sein und an einer Diskussionsrunde über neues wirtschaftliches Denken und Handeln teilnehmen.
Die Stimmen, die einen neuen wirtschaftlichen Konsens fordern, werden immer lauter. In einem kürzlich erschienenen Artikel für Project Syndicate argumentiert Mariana Mazzucato, dass die Welt tatsächlich an der Schwelle zu einem längst überfälligen Paradigmenwechsels steht. Sie plädiert für eine Wiederbelebung der Rolle des Staates, da globale Ziele wie eine dekarbonisierte Wirtschaft und die weltweite Verteilung von Impfstoffen nur durch eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben erreicht werden können.
Nach Ansicht der italienischen Ökonomin hat die Covid-19-Krise gezeigt, dass das Paradigma, das während der vergangenen fünf Jahrzehnte für eine Politik der freien Marktwirtschaft eintrat – der Washington Consensus mit seinem Mantra der Deregulierung, Privatisierung und Handelsliberalisierung – die internationale Gemeinschaft zum Scheitern verurteilt hat. Mazzucato argumentiert, dass wir in eine Ära eintreten, in der die irreversiblen Schäden des Klimawandels über nichts Geringeres als das Überleben der menschlichen Spezies entscheiden werden. Folglich sollten sich die politischen Entscheidungsträger darauf vorbereiten, das Ruder herumzureißen.
Im Vorfeld des bevorstehenden G20-Gipfels am 30. und 31. Oktober fordert sie die politischen Entscheidungsträger auf, eine Reihe von politischen Empfehlungen unter dem Oberbegriff „Cornwall Consensus“ zu berücksichtigen. Der Begriff wurde vom G7-Gremium für wirtschaftliche Resilienz, in dem Mazzucato Italien vertritt, im Vorfeld des G7-Gipfels im Juni dieses Jahres geprägt. Der jüngste Bericht dieser Beratergruppe schlägt einen neuen internationalen Sozialvertrag vor. Zu den konkreten politischen Vorschlägen gehören eine Reform der Rechte an geistigem Eigentum, eine Erhöhung der staatlichen Investitionen auf 2 % des BIP pro Jahr und ein neues Forschungsinstitut, das nach dem Vorbild der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) Lösungen im Bereich der Klimatechnologie entwickeln soll. Durch die Verabschiedung einer neuartigen Wirtschaftsagenda, die durch aufgabenorientierte Institutionen und Maßnahmen umgesetzt werden soll, können die führenden Politiker der Welt verhindern, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden.
Der diesjährige Alfred-Nobel-Gedächtnispreis wurde an drei US-Ökonomen verliehen, die mit ihrer Forschung entscheidend zur Weiterentwicklung „natürlicher Experimente“ beigetragen haben. Damit geht der Preis an ein Trio, das mit seiner Arbeit an realen Experimenten gängige ökonomische Glaubenssätze in Frage gestellt hat.
Der Ökonomie-Nobelpreis ist der einzige, der nicht auf Alfred Nobel zurück geht. Er wird von der Schwedischen Reichsbank gestiftet. Das Vergabe-Komitee begründete seine Entscheidung damit, dass die drei Wissenschaftler „die empirische Forschung revolutioniert haben“, indem sie natürliche Experimente verwendeten – Situationen im wirklichen Leben, in denen zufällige Ereignisse oder politische Entscheidungen ähnliche Bedingungen wie in einer klinischen Studie schaffen.
So belegten Preisträger David Card und der 2019 verstorbenen Alan Krueger, dass eine Anhebung der Mindestlöhne nicht zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Beschäftigungslage führt, indem sie zwei Gruppen von Beschäftigten in der Niedriglohnbranche Fast-Food-Gaststätten verglichen. Eine Erkenntnis mit revolutionärem Charakter, brach sie doch mit dem bis dato herrschenden Konsens, dass höhere Mindestlöhne zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Auch einen anderen Konsens unter Ökonomen erschütterte Card einige Jahre später mit einer ähnlichen Studie, in der er zeigte, dass Einwanderung nicht zu Lohneinbußen für einheimische Arbeitnehmer führen muss.
Joshua Angrist und Guido Imbens erhalten den Preis für ihre methodologischen Beiträge zur Frage, welche Schlussfolgerungen über Kausalitäten man aus natürlichen Experimenten ziehen kann. Methodisch haben sie die Ökonomie bei der Frage von Korrelation und Kausalität vorangebracht. Die diesjährige Vergabe ist eine Würdigung derjenigen Wissenschaftler, die mit ihrer Forschung eine Abkehr der alteingesessenen, bisher geglaubten ökonomischen Lehrsätze vertreten.
Eine detailreiche Analyse der diesjährigen Preisvergabe bietet auch dieser Handelsblatt Artikel.
Ebenfalls lesenswert zum Thema, dieser Beitrag aus der Financial Times.
In einem kürzlich in der Financial Times veröffentlichten Kommentar fordert die Cambridge-Professorin Diane Coyle einen Wandel in den Wirtschaftswissenschaften – und bei der nächsten Generation von Wirtschaftswissenschaftlern. Coyle begründet dies damit, dass die Wirtschaftswissenschaft ein Beruf sei, der mit seiner einflussreichen Stimme in Debatten über Gesellschaft und Politik eine besondere Verantwortung mit sich bringe. Durch die Möglichkeit zur Politikgestaltung und zur Beratung von Regierungen und Unternehmen haben wirtschaftliche Forschung und Ideen Einfluss auf die Art der Gesellschaft, in der wir leben. Derzeit, so Coyle, versäumt es der Berufsstand, seine Macht so einzusetzen, dass die dringendsten Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich bewältigt werden können.
Dafür macht sie zwei Mängel verantwortlich. Einerseits, so Coyle, fehle es der Ökonomie an Ethik. Coyle zufolge wird durch den Anspruch mittels strenger statistischer Verfahren und datenbasierter Analyse so objektiv wie möglich zu sein, die Illusion geschaffen, dass Wirtschaftswissenschaftler sich von der Gesellschaft, die sie analysieren, abgrenzen können – und Werturteile an diejenigen delegieren, die sie beraten. Vielmehr jedoch baue jede wirtschaftliche Analyse auf ein implizites moralisches Rahmenwerk. Doch die Wohlfahrtsökonomie – jener Zweig, der sich mit moralischen Fragen befasst – sei in Forschung und Lehre immer noch unterrepräsentiert.
Das zweite Problem, so Coyle, ist das Versäumnis der Ökonomen, ihre Annahmen und Modelle entsprechend der heutigen wirtschaftspolitischen Realität zu aktualisieren. Als Beispiele nennt Coyle die digitale Technologie und ihre Unsichtbarkeit in den Wirtschaftsstatistiken sowie die Vorstellung, dass Menschen individuelle Profitmaximierer seien. Dies sei im Zeitalter sozialer Medien, die von Werbeeinnahmen angetrieben werden, schlicht inkorrekt. Wo immer ein Wandel der Perspektiven und Ansätze stattfände, schaffe er es nicht, den Mainstream zu durchdringen und die Lehrbücher zu erreichen.
Coyle zufolge liege es daher an der nächsten Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, dafür zu sorgen, dass ein Wandel stattfinde, damit die Profession rechtmäßig ihren Einfluss aufrechterhalten könne, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Den vollständigen Artikel gibt es hier.