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der New-Economy-Ticker
Aktuelle Nachrichten, Debatten, Vorschläge und Entwicklungen zum neuen ökonomischen Denken auf einen Blick.
Der diesjährige Alfred-Nobel-Gedächtnispreis wurde an drei US-Ökonomen verliehen, die mit ihrer Forschung entscheidend zur Weiterentwicklung „natürlicher Experimente“ beigetragen haben. Damit geht der Preis an ein Trio, das mit seiner Arbeit an realen Experimenten gängige ökonomische Glaubenssätze in Frage gestellt hat.
Der Ökonomie-Nobelpreis ist der einzige, der nicht auf Alfred Nobel zurück geht. Er wird von der Schwedischen Reichsbank gestiftet. Das Vergabe-Komitee begründete seine Entscheidung damit, dass die drei Wissenschaftler „die empirische Forschung revolutioniert haben“, indem sie natürliche Experimente verwendeten – Situationen im wirklichen Leben, in denen zufällige Ereignisse oder politische Entscheidungen ähnliche Bedingungen wie in einer klinischen Studie schaffen.
So belegten Preisträger David Card und der 2019 verstorbenen Alan Krueger, dass eine Anhebung der Mindestlöhne nicht zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Beschäftigungslage führt, indem sie zwei Gruppen von Beschäftigten in der Niedriglohnbranche Fast-Food-Gaststätten verglichen. Eine Erkenntnis mit revolutionärem Charakter, brach sie doch mit dem bis dato herrschenden Konsens, dass höhere Mindestlöhne zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Auch einen anderen Konsens unter Ökonomen erschütterte Card einige Jahre später mit einer ähnlichen Studie, in der er zeigte, dass Einwanderung nicht zu Lohneinbußen für einheimische Arbeitnehmer führen muss.
Joshua Angrist und Guido Imbens erhalten den Preis für ihre methodologischen Beiträge zur Frage, welche Schlussfolgerungen über Kausalitäten man aus natürlichen Experimenten ziehen kann. Methodisch haben sie die Ökonomie bei der Frage von Korrelation und Kausalität vorangebracht. Die diesjährige Vergabe ist eine Würdigung derjenigen Wissenschaftler, die mit ihrer Forschung eine Abkehr der alteingesessenen, bisher geglaubten ökonomischen Lehrsätze vertreten.
Eine detailreiche Analyse der diesjährigen Preisvergabe bietet auch dieser Handelsblatt Artikel.
Ebenfalls lesenswert zum Thema, dieser Beitrag aus der Financial Times.
In einem kürzlich in der Financial Times veröffentlichten Kommentar fordert die Cambridge-Professorin Diane Coyle einen Wandel in den Wirtschaftswissenschaften – und bei der nächsten Generation von Wirtschaftswissenschaftlern. Coyle begründet dies damit, dass die Wirtschaftswissenschaft ein Beruf sei, der mit seiner einflussreichen Stimme in Debatten über Gesellschaft und Politik eine besondere Verantwortung mit sich bringe. Durch die Möglichkeit zur Politikgestaltung und zur Beratung von Regierungen und Unternehmen haben wirtschaftliche Forschung und Ideen Einfluss auf die Art der Gesellschaft, in der wir leben. Derzeit, so Coyle, versäumt es der Berufsstand, seine Macht so einzusetzen, dass die dringendsten Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich bewältigt werden können.
Dafür macht sie zwei Mängel verantwortlich. Einerseits, so Coyle, fehle es der Ökonomie an Ethik. Coyle zufolge wird durch den Anspruch mittels strenger statistischer Verfahren und datenbasierter Analyse so objektiv wie möglich zu sein, die Illusion geschaffen, dass Wirtschaftswissenschaftler sich von der Gesellschaft, die sie analysieren, abgrenzen können – und Werturteile an diejenigen delegieren, die sie beraten. Vielmehr jedoch baue jede wirtschaftliche Analyse auf ein implizites moralisches Rahmenwerk. Doch die Wohlfahrtsökonomie – jener Zweig, der sich mit moralischen Fragen befasst – sei in Forschung und Lehre immer noch unterrepräsentiert.
Das zweite Problem, so Coyle, ist das Versäumnis der Ökonomen, ihre Annahmen und Modelle entsprechend der heutigen wirtschaftspolitischen Realität zu aktualisieren. Als Beispiele nennt Coyle die digitale Technologie und ihre Unsichtbarkeit in den Wirtschaftsstatistiken sowie die Vorstellung, dass Menschen individuelle Profitmaximierer seien. Dies sei im Zeitalter sozialer Medien, die von Werbeeinnahmen angetrieben werden, schlicht inkorrekt. Wo immer ein Wandel der Perspektiven und Ansätze stattfände, schaffe er es nicht, den Mainstream zu durchdringen und die Lehrbücher zu erreichen.
Coyle zufolge liege es daher an der nächsten Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, dafür zu sorgen, dass ein Wandel stattfinde, damit die Profession rechtmäßig ihren Einfluss aufrechterhalten könne, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Den vollständigen Artikel gibt es hier.
Zusammen mit Jan Behringer hat Till van Treeck in einer bald erscheinenden Publikation die Ungleichheit in liberalen Marktwirtschaften mit einem schlankeren Sozialstaat und einer ausgeprägten Shareholder Value-Orientierung (z.B. USA, UK) und in koordinierten Marktwirtschaften mit einer stärkeren sozialen Absicherung (z.B. Deutschland, Skandinavien) verglichen. Dabei haben die Autoren unterschiedliche Trends identifiziert. In beiden Kapitalismustypen ist die ökonomische Ungleichheit gemessen am Gini-Koeffizienten seit den 1980er Jahren stark angestiegen.
Allerdings sank die Lohnquote in koordinierten Marktwirtschaften trotz der traditionell stärker ausgeprägten Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmensverbänden und Gewerkschaften deutlicher als in den liberalen Marktwirtschaften. Dies kann einerseits auf die regelrechte Explosion der Spitzeneinkommen in liberalen Marktwirtschaften und die Stagnation der eher „exportgetriebenen“ Volkswirtschaften zurückgeführt werden. Zum anderen sind in koordinierten Marktwirtschaften große Teile der Unternehmensgewinne einbehalten worden, so van Treeck. In liberalen Ökonomien habe der rasante Anstieg von Managergehältern höhere – oftmals schuldenfinanzierte – Ausgaben bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen zur Aufrechterhaltung des relativen Lebensstandards veranlasst, weshalb das Wachstumsmodell dieser Länder als „schuldengetrieben“ bezeichnet werden kann.
Till van Treeck plädiert dafür, beim Thema Ungleichheit neben dem Gini-Koeffizienten weitere Indikatoren zu betrachten und hebt die Auseinanderentwicklung zwischen Haushaltseinkommen und Unternehmensgewinnen in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland hervor.
Den vollständigen Artikel können Sie hierlesen.
Laut der renommierten Columbia-Professorin Katharina Pistor ermöglichen es „grüne“ Hedging-Strategien und Co2-Kompensationsprogramme Unternehmen, sich der Verantwortung für von ihnen verursachte Schäden an Umwelt und Gesellschaft zu entziehen. In ihrem kürzlich veröffentlichten Kommentar für Project Syndicate argumentiert Pistor, dass das kapitalistische System und die Gesetze, auf denen es aufbaut, die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten zum Vorteil großer Unternehmen ermöglichen.
Nicht die Märkte, schreibt Pistor, sondern die Gesetze ermöglichen es Konzernen und Unternehmen, Umweltverpflichtungen auszulagern und ihr Kapital zu schützen, selbst wenn sie sich umweltfeindlich verhalten. Der neue ‚grüne‘ Konsens, der sich auf die Offenlegung einzelner Finanzdaten ob ihrer Nachhaltigkeit konzentriert, verspricht einen marktfreundlichen Wandel, ohne diesen auch einhalten zu müssen. Wäre der nachhaltige Wandel der Wirtschaft wirklich das Ziel, so Pistor, müssten Regierungen umgehend sämtliche Subventionen für Aktivitäten des ‚braunen Kapitalismus‘ abschaffen. Zudem sei ein Moratorium nötig, welches den Schutz von Unternehmen und Investoren vor der Übernahme von Verantwortung für von ihnen verursachte Umweltschäden, aufhebt.
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Der Columbia-Professor und Nobelpreisträger Joe Stiglitz hat die europäischen Staats- und Regierungschefs dringend aufgefordert, nicht zu den strengen Haushaltsregeln für Defizite und Ausgaben zurückzukehren, die während der Corona-Virus-Pandemie gelockert wurden. In einem kürzlich erschienenen Kommentar in der Financial Times argumentiert Stiglitz, dass eine Abkehr von den alten fiskalischen Regeln dann nachhaltig sein kann, wenn sie durch eine ehrgeizige Erhöhung der Investitionen begleitet wird. Die Pandemie habe bewiesen, dass Europa besser gegen die Krise gewappnet gewesen wäre, hätten die Mitgliedsstaaten mehr in Gesundheit und Versorgungsketten investiert, anstatt sich an strenge und willkürliche Sparquoten zu halten.
Joe Stiglitz warnt, dass eine Rückkehr zu den alten Regeln dem sozialen Zusammenhalt schaden würde. Vielmehr sollte das System durch nachhaltige Investitionen zugunsten von jungen Menschen und Geringverdienern neu ausbalanciert werden. Letztlich sei ein „flexiblerer und durchdachterer Ansatz für die makroökonomische und fiskalische Steuerung“ erforderlich.
Den ganzen Artikel gibt es hier.