Quick & New –
der New-Economy-Ticker
Aktuelle Nachrichten, Debatten, Vorschläge und Entwicklungen zum neuen ökonomischen Denken auf einen Blick.
Wenn es so etwas gibt wie Leitgedanken, die Politik und Menschen in einem Land lenken, dann war es über ein paar Jahrzehnte die Idee, dass Probleme sich durch freie Märkte, mehr Globalisierung und Deregulierung am besten lösen lassen. So war das noch zu Zeiten der Agenda 2010, als privatisiert und dereguliert wurde. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem nicht nach dem Staat gerufen wird: zur Rettung von Banken oder Energiekonzernen, um Energiepauschalen auszugeben, Sonderfonds für die Bundeswehr einzurichten – oder Gaspreisbremsen zu beschließen. Eine neue Mode, wie Anhänger der Marktlehre seither unken? Ein flüchtiger Zeitgeist wider die ökonomische Vernunft?
Es mag etwas von einem Modephänomen haben. Was seit ein paar Jahren passiert, dürfte nur weit mehr sein – getragen von dem viel tiefer sitzenden Versuch, ein neues Leitbild zu entwickeln, das jenes vom Markt als oberstes Heilmittel ersetzt. Nicht weil es gerade Zeitgeist ist. Sondern weil das Dogma an seine Grenzen gestoßen ist.
Ob so ein neues gesellschaftlich-ökonomisches Paradigma entsteht – und in welchem Stadium es ist – das hat eine umfangreiche Studie zu ermitteln versucht, die gerade erschienen ist. Danach sind solche Leitbilder wichtig, um Politik in der Praxis zu lenken – und ein Urvertrauen in die Politik zu schaffen. Und genau dieses Urvertrauen ist mit dem Scheitern des marktliberalen Diktums geschwunden, wie etliche Auswertungen seither zeigen – spätestens seit der Finanzkrise 2008, die als Offenbarung für die angeblich so effizienten Finanzmärkte und Banken gewirkt hat.
Zum vollständigen Artikel geht es hier.
In einer kürzlich erschienenen Kolumne fragt sich Mark Schieritz, inwiefern die Grundsteuer auf Immobilien einer möglichen Reform der Vermögensteuer als Vorbild dienen könnte. Durch die vom Verfassungsgericht veranlasste Reform müssen Bodenrichtwerte, die der Steuer zugrunde liegen, neu berechnet und angepasst werden. Was nichts anderes ist, als eine Bewertung von Vermögensgegenständen. Genau das ist jedoch ein beliebtes Gegenargument bei Diskussionen um die Umsetzbarkeit einer Vermögensteuer.
Da das Immobilienvermögen privater Haushalte ca. dreimal so hoch ist, wie Vermögen auf Bankkonten und in Aktiendepots, ist es eine wichtige Komponente des Vermögens, während gleichzeitig die Ausweicheffekte kleiner ausfallen dürften. Warum nicht die Grundsteuer zu einer Art Vermögensteuer ausbauen?
Die politische Vorgabe lautet, dass die Reform der Steuer nicht zu Mehreinnahmen für den Staat führen darf. Deshalb ist sie so konstruiert worden, dass sich an den zu entrichtenden Beträgen am Ende nicht sehr viel ändern dürfte. Das könnte man aber ändern. Mit ein paar Handgriffen könnte sie so ausgebaut werden, dass die Vermögenden deutlich stärker an der Finanzierung der Staatsaufgaben beteiligt werden. Die entsprechenden Daten werden ja gerade ermittelt. Praktisch ist auch: Über die Bodenrichtwerte könnte die Wertsteigerung – oder der Wertverlust – einer Immobilie bei der Ermittlung der Steuer relativ unkompliziert berücksichtigt werden. Man müsste den Wert dann einfach regelmäßig abfragen.
Die ganze Kolumne gibt es hier.
Was treibt Innovation an? – Artikel
William H. Janeway, Project Syndicate, 20.01.2023
Nachdem die Industriepolitik jahrzehntelang in der Versenkung verschwunden war, wird sie nun als Instrument zur Bewältigung des Klimawandels und zur Navigation in einem schwierigen neuen geopolitischen Umfeld wiederentdeckt. Diese Entwicklung ist längst überfällig und durch die Wirtschaftsgeschichte seit dem Beginn der industriellen Revolution voll und ganz gerechtfertigt.
Die unfairen Kosten von Care-Arbeit – Artikel
Nancy Folbre, The Prospect, 18.01.2023
Eine ganz andere Art von Inflation.
Die geplante Reform der EU-Budgetregeln gibt der EU-Kommission zu viel Macht – Artikel (Paywall)
Philipp Heimberger, Handelsblatt, 16.01.2023
Die EU-Kommission will die Budgetregeln der Union ändern. Doch die Kommissionspläne würden eine gefährliche Willkür schaffen, warnt Philipp Heimberger.
Konzerne und Superreiche sind Krisengewinner – Artikel
Die Zeit, 16.01.2023
Lebensmittel- und Energiekonzerne haben einem Bericht zufolge vergangenes Jahr Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen erzielt. Zeitgleich nahm extreme Armut wieder zu.
Frankreich will Europas Industriepolitik revolutionieren – Artikel (Paywall)
Martin Greive, Julian Olk & Gregor Waschinksi, 15.01.2023
Die EU findet bisher keine gemeinsame Antwort auf US-Industriesubventionen im Zuge des Inflation Reduction Acts. Frankreich dringt dabei auch auf neue EU-Fonds – die Bundesregierung ist skeptisch.
Notwendige Zielgenauigkeit – Artikel
Achim Truger, Aus Politik und Zeitgeschichte, 02.01.2023
Die Entlastungsmaßnahmen sollten zielgenau ausgestaltet sein. Bei den privaten Haushalten sollten sie die Energiesparanreize erhalten sowie auf untere und mittlere Einkommen fokussiert sein.
In einem kürzlich erschienenen Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt Tom Krebs als einer der Autoren der Studie ‚Mapping the State of a Shifting Paradigm‘, wie sich die wirtschaftspolitische Debatte verändert hat.
Der Markt regelt alles, der Staat soll sich raushalten: Diese Politik ist vorbei, zum Glück, findet Ökonom Tom Krebs. Warum die Regierung beim Mindestlohn schon wieder eingreifen sollte, aber es bei Besserverdienenden lieber gelassen hätte.
Die wirtschaftspolitische Diskussion hat sich in den vergangenen 30 Jahren verändert, bei Ökonomen und in internationalen Organisationen. In den 1990er-Jahren argumentierten der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die OECD marktliberal. Sie forderten Privatisierung, Deregulierung und flexible Arbeitsmärkte, was häufig Niedriglöhne bedeutete. Der Markt sollte alles regeln. Heute postulieren sie eine wichtige Rolle des Staates und finden angemessene Mindestlöhne richtig.
Zum ganzen Interview geht es hier (Paywall).
In einem kürzlich erschienenen Tagesspiegel-Artikel (Paywall) argumentiert Harald Schumann, dass staatliche Institutionen immer mehr Aufgaben vom Markt übernehmen, da der Glaube in seine Effizienz schwindet. Er sieht ein neues Leitbild in die Wirtschaftspolitik einziehen: Der Staat als Lenker, Investor und Unternehmer.
Basierend auf einer neuen Studie des Forums ‚Mapping the State of a Shifting Paradigm‘ beschreibt der Artikel eine Umorientierung der Wirtschaftswissenschaft. Das sei daran zu erkennen, dass alle führenden Institutionen vom Internationalen Währungsfonds bis zur EU-Kommission vom Glauben an den Markt absetzen und gegen Ungleichheit, Klimawandel und Finanzkrisen massive staatliche Eingriffe fordern.
Allerdings sei ungewiss, ob die ideologische Kehrtwende auch zu praktischen Erfolgen führt. Denn es gebe noch kein neues konsistentes Paradigma, sondern bislang nur experimentelle Ansätze. Zudem fehlte es jetzt in den staatlichen Apparaten an Einsicht und kompetenten Fachleuten. Außerdem drohe die Gefahr von Subventionswettläufen und der Plünderung der Staatskassen durch einige Begünstigte. Volle Transparenz sei daher die conditio sine qua non für eine erfolgreiche neue Wirtschaftspolitik.
Den vollständigen Artikel gibt es hier. Die ganze Studie zum Stand des Paradigmenwechsel gibt es hier.