ZEITRAUM

In den aktuellen Krisenzeiten wird Christian Lindner wird nicht müde zu betonen, dass der Gürtel wegen harter Zeiten enger geschnallt werden müsse, und besteht kategorisch auf der Einhaltung der Schuldenbremse: „Wir dürfen uns die Politik auf Pump nicht erlauben“. Die andere Seite der Medaille ist die Einnahmeseite des Staates, an der aber laut Finanzministerium ebenfalls nicht gerüttelt werden soll – als Respekt vor der Leistung. Dabei bräuchte es gar keine breite Erhöhung der Einkommenssteuer oder einen Kriegssoli, um Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte zu generieren.

In einem neuen Essay fordert Gerhard Schick eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer, um den Staatshaushalt zu entlasten. Es gehe darum, Privilegien für Superreiche, die in den letzten 30 Jahre geschaffen wurden, zu korrigieren, wie zum Beispiel die im Vergleich zu Arbeitseinkommen niedrigere Besteuerung von Kapital- und Immobilienerträgen. Erben sei reine Glückssache und eine laxe Erbschaftssteuer habe deshalb mit Respekt vor Leistung nichts zu tun. Das Hauptargument für die Ausnahme von Betriebsvermögen bei der Erbschaftssteuer lautet, so Arbeitsplätze gesichert würden, obwohl diese Position schon vor Jahren von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium als empirisch nicht haltbar eingestuft wurde.

Den ganzen Essay gibt es hier (hinter der Paywall).

Der Weg zur Inflationsbekämpfung ohne steigende Zinsen und Rezession – Artikel
Meg Jacobs und Isabella M. Weber, Washington Post, 09.08.2022

Die Geschichte zeigt, dass gezielte Preisobergrenzen funktionieren, wenn sie von einer öffentlichen Kampagne begleitet werden.

Fachkräfte gesucht, Wirtschaftsweise gefunden – Artikel
Matthias Kaufmann, Spiegel Online, 09.08.2022

Bei den Wirtschaftsweisen waren zwei von fünf Plätzen nicht besetzt. Bald soll das Gremium wieder in voller Größe tagen – dank interessanter Neuzugänge.

„Produktivismus“ richtig machen – Artikel
Dani Rodrik, Project Syndicate, 08.08.2022

Die Etablierung neuer wirtschaftspolitischer Paradigmen erfordert die Entwicklung neuer Ansätze und nicht nur die Nachahmung der alten. Wenn der „Produktivismus“ erfolgreich sein soll, muss er über den herkömmlichen Sozialschutz, die Industriepolitik und das makroökonomische Management hinausgehen.

The Inflation Reduction Act: Bidenomics 2.0 – Blogbeitrag (Paywall)
Noah Smith, Substack, 08.08.2022

Der Senat hat soeben den Inflation Reduction Act verabschiedet, ein wichtiges Steuergesetz, das vor allem darauf abzielt, die Energieversorgung zu verbessern und die Steuern zu erhöhen, um die Inflation einzudämmen. Das neue Wirtschaftsparadigma erhält einen schnellen Neustart.

Deutschland muss die Schuldenbremse aufgeben, um die verlorenen Merkel-Jahre wieder aufzuholen – Artikel
Thorsten Benner, The New Statesman, 08.08.2022

Nur wenn die verfassungsmäßige Begrenzung der Neuverschuldung aufgehoben wird, kann Deutschland angemessen in sich selbst investieren und seine „Zeitenwende“ vollenden.

Mindestlohn in Deutschland hat die Produktivität gesteigert – Artikel
Spiegel Online, 05.08.2022

Der Mindestlohn bedeutete für nicht wenige Ökonomen beinahe den Untergang des Abendlandes. Die Befürchtungen waren wohl übertrieben, wie eine Studie jetzt zeigt.

Eine neue Studie von Gechert und Heimberger (2022) führt eine Meta-Analyse über die empirische Literatur zu Wachstumseffekten von Unternehmenssteuersenkungen durch und untersucht dafür 441 Schätzungen aus 42 Studien zu dem Thema. Nimmt man den ungewichteten Durchschnitt, so würde eine Senkung der Körperschaftssteuer um 10 Prozentpunkte mit einer Erhöhung der Wachstumsraten um rund 0,2 Prozentpunkte einhergehen. Die Autoren kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass aufgrund von vorliegendem „publication bias“ (Publikationsverzerrung) insignifikante Ergebnisse nicht veröffentlicht werden, was sich in einer asymmetrischen Verteilung rund um den wahren Wert ausdrückt. Kontrolliert man für diese Verzerrung, kann man einen Nulleffekt nicht ausschließen.

Warum sind die Finanzmärkte so selbstzufrieden? – Artikel
Anatole Kaletsky, Project Syndicate, 01.08.2022

Märkte und Zentralbanken erwarten zuversichtlich eine komfortable neue „Goldlöckchen“-Ära für die Weltwirtschaft, in der alle glücklich und zufrieden leben werden. Die zuversichtlichen Aussichten der Anleger beruhen jedoch auf vier kognitiven Verzerrungen.

Die Corona-Krise und die sozial-ökologische Transformation: Herausforderungen für die Finanzpolitik – Policy Brief
Sebastian Dullien, Achim Truger, Katja Rietzler, WSI Mitteilungen, August 2022

Die Corona-Krise und die sozial-ökologische Transformation stellen die deutsche Finanzpolitik vor schwierige Herausforderungen. Einerseits bestehen massive zusätzliche öffentliche Finanzbedarfe in der Größenordnung von 600 Mrd. € bis 800 Mrd. € über die nächsten zehn Jahre hinweg, andererseits hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag grundlegende Reformen der Schuldenbremse ausgeschlossen und sieht auch keine Steuererhöhungen vor.

Der Reichtum der Deutschen – Artikel (Paywall)
Moritz Schularick, Charlotte Bartels & Thilo Albers, FAZ, 01.08.2022

Einem Prozent der deutschen Haushalte gehören heute rund 27 Prozent des gesamten Vermögens aller Deutschen. Wie aber war das früher? Über die Geschichte der Vermögensverteilung in Deutschland.

Der Artikel basiert auf dieser Studie.

Das europäische Seriendrama – Artikel
Philipp Heimberger & Lea Steiniger, der Standard, 31.07.2022

Verhindert die EZB ein Wiederaufflammen der Eurokrise? Ob ihr neues Anleihekaufprogramm als Stabilitätsanker taugt, könnte bald angezweifelt werden: wenn Länder in Not die Kriterien dafür nicht erfüllen.

Mehr Wettbewerb! – Artikel
Carsten Hermann-Pillath, Frankfurter Rundschau, 22.07.2022

Die Wirtschaftswissenschaft verleugnet ihr eigenes Mantra. Dabei wäre eine Selbstanwendung der herrschenden Lehre revolutionär: Markteintrittsschranken für neue Ideen abbauen und die Macht von akademischen Interessengruppen eindämmen.

Eine kürzlich gelaunchte Website von Martyna Linartas dreht sich rund um das Thema Ungleichheit. Ziel der Seite ist es, der Öffentlichkeit das Problem Ungleichheit sichtbarer zu machen und Wissen über Ungleichheit zu vermitteln, um das Problem anpacken und Ungleichheit verringern zu können.

Hier geht es zur Seite.

UNSERE THEMENSCHWERPUNKTE

Neues Leitmotiv

NEUES LEITMOTIV

Nach ein paar Jahrzehnten allzu naiven Marktglaubens brauchen wir dringend neue Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – und mehr: ein ganz neues Paradigma als Leitfaden. Wir sammeln alles zu den Leuten und der Community, die sich mit dieser großen Frage beschäftigen, sowie mit der historischen wie heutigen Wirkung von Paradigmen und Narrativen – ob in neuen Beiträgen, Auftritten, Büchern und Veranstaltungen.

Staat
neu denken

STAAT
NEU DENKEN

Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

Klima
in Wohlstand
retten

KLIMA
IN WOHLSTAND
RETTEN

Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

Ungleichheit
verringern

UNGLEICHHEIT
VERRINGERN

Das Gefälle zwischen Arm und Reich scheint selbst in einem Land wie Deutschland zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Um den Trend umzukehren, ist es wichtig, die wirklichen Ursachen des Auseinandergehens von Einkommen und Vermögen zu verstehen.

Finanzwelt
erneuern

FINANZWELT
ERNEUERN

Auch zehn Jahre nach der Finanzkrise scheint eine wirkliche Stabilität des Finanzsystems nicht in Sicht zu sein. Risiken werden periodisch falsch bewertet und führen zu Boom-Bust-Zyklen. Ein stabileres Finanzsystem sollte kurzfristige Spekulationen erschweren, systemische Risiken begrenzen und das Vermögen gerechter verteilen.

Innovation Lab

INNOVATION LAB

Brauchen wir ein ganz neues Verständnis von Wirtschaftswachstum? Was wäre eine reale Alternative? Wie praktikabel sind Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt, wenn es um die Messung von Wohlstand geht? Um diese und andere grundsätzlichere Herausforderungen geht es in dieser Sektion.

Globalisierung
für alle

GLOBALISIERUNG
FÜR ALLE

Nach drei Jahrzehnten schlecht gemanagter Integration ist die Globalisierung durch soziale Unzufriedenheit und den Aufstieg populistischer Kräfte bedroht. Es gilt dringend die negativen Nebeneffekte auf viele Menschen zu beheben - und klarer zu definieren, welche Herausforderungen auf lokaler oder regionaler, und welche über Grenzen hinweg angegangen werden sollten.

Europa
jenseits
der Märkte

EUROPA
JENSEITS
DER MÄRKTE

Das Europa der vergangenen Jahrzehnte wurde stark vom Primat der Wirtschaft und dem Vertrauen in die Heilungskraft der Märkte geprägt. Die Euro-Krise hat dies erschüttert. Seither wird gestritten, wie die Währungsunion vor neuen Paniken besser geschützt werden kann – und wie sich das Auseinanderdriften von Ländern besser verhindern lässt.

Corona-Krise

CORONA-KRISE

Die aktuelle Corona Krise ist mitunter die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. ÖkonomInnen arbeiten intensiv an einer Milderung der wirtschaftlichen Folgen durch COVID-19. Es gilt eine zweite große Depression, den Zusammenbruch der Eurozone und das Ende der Globalisierung zu verhindern. Wir sammeln die wichtigsten Beiträge.