ZEITRAUM

In einem kürzlich erschienenen Tagesspiegel-Artikel (Paywall) argumentiert Harald Schumann, dass staatliche Institutionen immer mehr Aufgaben vom Markt übernehmen, da der Glaube in seine Effizienz schwindet. Er sieht ein neues Leitbild in die Wirtschaftspolitik einziehen: Der Staat als Lenker, Investor und Unternehmer.

Basierend auf einer neuen Studie des Forums ‚Mapping the State of a Shifting Paradigm‘ beschreibt der Artikel eine Umorientierung der Wirtschaftswissenschaft. Das sei daran zu erkennen, dass alle führenden Institutionen vom Internationalen Währungsfonds bis zur EU-Kommission vom Glauben an den Markt absetzen und gegen Ungleichheit, Klimawandel und Finanzkrisen massive staatliche Eingriffe fordern.

Allerdings sei ungewiss, ob die ideologische Kehrtwende auch zu praktischen Erfolgen führt. Denn es gebe noch kein neues konsistentes Paradigma, sondern bislang nur experimentelle Ansätze. Zudem fehlte es jetzt in den staatlichen Apparaten an Einsicht und kompetenten Fachleuten. Außerdem drohe die Gefahr von Subventionswettläufen und der Plünderung der Staatskassen durch einige Begünstigte. Volle Transparenz sei daher die conditio sine qua non für eine erfolgreiche neue Wirtschaftspolitik.

Den vollständigen Artikel gibt es hier. Die ganze Studie zum Stand des Paradigmenwechsel gibt es hier.

Ist der Kapitalismus die Krise? – Podcast
Petra Pinzler & Stefan Schmitt, Die Zeit, 12.01.2023

Naturverlust und Klimakrise zeigen, unser Wirtschaftssystem frisst seine eigenen Grundlagen. Wie kann es doch zur Lösung beitragen?

Eine Geldpolitik, die die Banken nicht subventioniert – Artikel
Paul de Grauwe & Yuemei Yi, CEPR, 09.01.2023

Die Zentralbanken zahlen Zinsen für die von den Geschäftsbanken bei der Zentralbank gehaltenen Bargeldreserven. Die jüngsten Zinserhöhungen bedeuten also größere Zinszahlungen an die Geschäftsbanken und Einnahmeverluste für die nationalen Regierungen. In dieser Kolumne wird argumentiert, dass eine bessere Politik darin bestünde, anhaltende Verkäufe von Staatsanleihen mit höheren Mindestreserveanforderungen zu kombinieren. Dadurch würde vermieden, dass die Zentralbankgewinne an die Geschäftsbanken weitergegeben werden, was im Grunde einer Subventionierung durch die Zentralbank gleichkäme.

Ein US Inflation Reduction Act für Europa – Artikel
Tom Krebs, Project Syndicate, 10.01.2023

Zwar stehen einige europäische Politiker dem von den US-Demokraten unterzeichneten Klimaschutzgesetz zwiespältig gegenüber, doch ist der gezielte, regierungszentrierte Ansatz des amerikanischen Plans weitaus glaubwürdiger als der marktorientierte Ansatz, der die derzeitige grüne Agenda der EU bestimmt. Anstatt den IRA zu bekämpfen, sollte sich Europa deren arbeitnehmerfreundliche Haltung zu eigen machen.

Was liegt jenseits des Neoliberalismus? – Blogbeitrag
Amy Kapczynski, LPE Blog, 09.01.2023

Es gehört zum Wesen eines herrschenden Paradigmas, dass es die Art und Weise prägt, wie wir die Dinge sehen. Aber etwas, durch das wir hindurchschauen, ist natürlich schwer zu überschauen. Vielleicht ist hier eine eiserne Regel am Werk. Das legt Hegels Behauptung über die Eule der Minerva nahe, die nur in der Abenddämmerung fliegt. Aber wenn wir die Welt nicht nur interpretieren, sondern auch verändern wollen, ist es besonders wichtig, einen Blick auf die Zukunft zu werfen, die sich in unserer Gegenwart abzeichnen könnte.

Warum die Weltwirtschaft ein neues Betriebssystem braucht – Artikel
Moritz Schularick, Der Spiegel, 06.01.2023

Wir stehen vor einer neuen Phase der Globalisierung. Deutschland braucht dafür eine Weltwirtschaftspolitik, die auf Europa setzt und die Interessen des Landes als Ganzes von denen einzelner Branchen trennt.

Traditionelle Klimapolitik stützt sich zumeist auf marktorientierte Maßnahmen, in deren Mittelpunkt ein CO2-Preis und die nachträgliche Entschädigung der so genannten „Verlierer“ des Klimawandels stehen. Wie Tom Krebs in einem kürzlich veröffentlichten New Economy Working Paper argumentiert, ist dieser marktliberale Ansatz fehlerhaft, da er Transaktionskosten der Transformation und Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt vernachlässigt.

Eine moderne Klimapolitik berücksichtigt diese Mängel und basiert laut Krebs auf der Idee einer vorausschauenden Regierung, die arbeitnehmerfreundliche, grüne Institutionen schafft und eine grüne Industriepolitik einsetzt, um Haushalte und Unternehmen im Transformationsprozess zu unterstützen. Er nennt den US Inflation Reduction Act (IRA) als ein Beispiel, in dem moderne Klimapolitik bis zu einem gewissen Grad umgesetzt wurde. Genauer gesagt enthält der IRA mehrere Elemente einer gelungenen Industriepolitik, während eine institutionalisierte arbeitnehmerfreundliche Klimaagenda fehlt.

Wie Krebs in einem kürzlich erschienenen Artikel argumentiert, sollte sich Europa die IRA und ihre arbeitnehmerfreundliche Ausrichtung zu eigen machen, da der zielgerichtete, regierungszentrierte Ansatz des amerikanischen Plans weitaus glaubwürdiger ist als der marktorientierte Ansatz, der die aktuelle grüne Agenda der EU leitet.

Zum Artikel geht es hier und das vollständige Working Paper gibt es hier.

So steht es wirklich um den Wohlstand der Deutschen – Artikel (Paywall)
Martin Greive, Handelsblatt, 05.01.2023

Das Wirtschaftsministerium versucht, ein ganzheitliches Bild vom Wohlstand der Deutschen zu zeichnen. Demnach sieht es weniger gut aus, als es derzeit scheint.

Deutsches Steuerrecht blockiert die Energiewende – Artikel (Paywall)
Claus Hulverscheidt, Süddeutsche Zeitung, 04.01.2023

Die Bundesregierung will den klimagerechten Umbau der Wirtschaft massiv beschleunigen. Dabei helfen sollen auch Steueranreize – die jedoch oft genug das Gegenteil bewirken.

Hatte Marx doch recht? – Artikel (Paywall)
Thomas Schulz, Susanne Beyer, Simon Book, Der Spiegel, 30.12.2022

Der klassische Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Aber angetrieben von immer neuen Weltkrisen und einem drohenden Klimakollaps zeichnen sich konkrete Reformideen ab: weniger Wachstum, mehr staatliche Zielvorgaben.

Das Geld-für-alle-Experiment – Artikel (Paywall)
David Gutensohn & Kolja Rudzio, Die Zeit, 30.12.2022

Werden Menschen faul, wenn sie Geld ohne Gegenleistung beziehen? Oder mutig und kreativ? Seit eineinhalb Jahren prüfen Forscher die Folgen eines bedingungslosen Grundeinkommens. Jetzt ist Halbzeit. Eine Zwischenbilanz 

KI für das Gemeinwohl – Artikel
Gabriela Ramos & Mariana Mazzucato, 26.12.2022

Öffentliche Politik und Institutionen sollten dafür sorgen, dass Innovationen die Welt verbessern, doch derzeit werden viele Technologien im luftleeren Raum eingesetzt, und die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz lassen eine rote Fahne nach der anderen aufleuchten. Die Ära der leichtfertigen Selbstregulierung muss ein Ende haben.

Die Doppelte Transformation – Artikel
Diane Coyle, Project Syndicate, 09.12.2022

Der Übergang in eine CO2-neutrale Wirtschaft wird eine grundlegende Veränderung der Wettbewerbsbehörden erfordern. Um die Energiewende voranzutreiben und zu verhindern, dass marktdominierende Unternehmen keine neuen Marktzugangsbarrieren errichten müssen sich die politischen Entscheidungsträger von 40 Jahren konventioneller Weisheit verabschieden.

In einem aktuellen Twitter-Thread argumentiert Olivier Blanchard, dass der Inflation ein Verteilungskonflikt zwischen Arbeitnehmern, Unternehmen und Steuerzahlern zugrunde liegt. Diese post-keynesianische Sichtweise eröffnet dem Staat einen Spielraum, wenn es um die effizienteste politische Reaktion auf die jüngsten Inflationsschübe geht. Die Aufgabe, einen Verteilungskonflikt zu lösen, allein der Zentralbank zu überlassen, scheint dann höchst ineffizient zu sein.

Sein Tweet hat auf Econtwitter eine hitzige Debatte über die Ursachen der Inflation und deren bestmögliche Beseitigung ausgelöst. Eine kurze Zusammenfassung in dem Blogbeitrag von Claudia Sahm gibt es hier.

UNSERE THEMENSCHWERPUNKTE

Neues Leitmotiv

NEUES LEITMOTIV

Nach ein paar Jahrzehnten allzu naiven Marktglaubens brauchen wir dringend neue Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – und mehr: ein ganz neues Paradigma als Leitfaden. Wir sammeln alles zu den Leuten und der Community, die sich mit dieser großen Frage beschäftigen, sowie mit der historischen wie heutigen Wirkung von Paradigmen und Narrativen – ob in neuen Beiträgen, Auftritten, Büchern und Veranstaltungen.

Staat
neu denken

STAAT
NEU DENKEN

Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

Klima
in Wohlstand
retten

KLIMA
IN WOHLSTAND
RETTEN

Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

Ungleichheit
verringern

UNGLEICHHEIT
VERRINGERN

Das Gefälle zwischen Arm und Reich scheint selbst in einem Land wie Deutschland zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Um den Trend umzukehren, ist es wichtig, die wirklichen Ursachen des Auseinandergehens von Einkommen und Vermögen zu verstehen.

Finanzwelt
erneuern

FINANZWELT
ERNEUERN

Auch zehn Jahre nach der Finanzkrise scheint eine wirkliche Stabilität des Finanzsystems nicht in Sicht zu sein. Risiken werden periodisch falsch bewertet und führen zu Boom-Bust-Zyklen. Ein stabileres Finanzsystem sollte kurzfristige Spekulationen erschweren, systemische Risiken begrenzen und das Vermögen gerechter verteilen.

Innovation Lab

INNOVATION LAB

Brauchen wir ein ganz neues Verständnis von Wirtschaftswachstum? Was wäre eine reale Alternative? Wie praktikabel sind Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt, wenn es um die Messung von Wohlstand geht? Um diese und andere grundsätzlichere Herausforderungen geht es in dieser Sektion.

Globalisierung
für alle

GLOBALISIERUNG
FÜR ALLE

Nach drei Jahrzehnten schlecht gemanagter Integration ist die Globalisierung durch soziale Unzufriedenheit und den Aufstieg populistischer Kräfte bedroht. Es gilt dringend die negativen Nebeneffekte auf viele Menschen zu beheben - und klarer zu definieren, welche Herausforderungen auf lokaler oder regionaler, und welche über Grenzen hinweg angegangen werden sollten.

Europa
jenseits
der Märkte

EUROPA
JENSEITS
DER MÄRKTE

Das Europa der vergangenen Jahrzehnte wurde stark vom Primat der Wirtschaft und dem Vertrauen in die Heilungskraft der Märkte geprägt. Die Euro-Krise hat dies erschüttert. Seither wird gestritten, wie die Währungsunion vor neuen Paniken besser geschützt werden kann – und wie sich das Auseinanderdriften von Ländern besser verhindern lässt.

Corona-Krise

CORONA-KRISE

Die aktuelle Corona Krise ist mitunter die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. ÖkonomInnen arbeiten intensiv an einer Milderung der wirtschaftlichen Folgen durch COVID-19. Es gilt eine zweite große Depression, den Zusammenbruch der Eurozone und das Ende der Globalisierung zu verhindern. Wir sammeln die wichtigsten Beiträge.