ZEITRAUM

Gestern hat die Europäische Kommission ihre Antwort auf den US Inflation Reduction Act vorgestellt: den Green Deal Industrial Plan zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Netto-Null-Industrie und zur Unterstützung des schnellen Übergangs zur Klimaneutralität. Der Plan zielt darauf ab, ein günstigeres Umfeld für den Ausbau der EU-Fertigungskapazitäten für die Netto-Null-Technologien und -Produkte zu schaffen, die erforderlich sind, um die ehrgeizigen europäischen Klimaziele zu erreichen.

Problematisch ist die langfristige Finanzierung, da ein „Souveränitätsfonds“ von Deutschland bisher kategorisch abgelehnt wurde. Zur kurzfristigen Überbrückung sollten nicht genutzte Kredite aus dem Corona-Hilfsfonds angezapft und anders verwendet werden.

Während bisher der Einsatz sauberer Technologien im Vordergrund stand, steht nun die Angebotsseite im Mittelpunkt des Vorschlags: eine breite Unterstützung der Massenproduktion. Ein informativer Thread von Claudio Baccianti zu den Plänen der Europäischen Kommission:

Wie viel Industriepolitik braucht es? In einem aktuellen Handelsblatt-Interview (Paywall) streiten Jens Südekum und Lars Feld über den richtigen Weg.

„Diese Gewinne gehören der Gesellschaft“ – Artikel
Meike Schreiber & Markus Zydra, Süddeutsche Zeitung, 27.01.23

Die Zentralbank zahlt Banken Zinsen, wenn diese ihr Geld dort lagern. Warum eigentlich? Die Milliarden würden den Menschen zustehen, sagt ein Ökonom.

Wie man Inflation nicht bekämpfen sollte – Artikel
Joseph Stiglitz, Project Syndicate, 26.01.23

Ein sorgfältiger Blick auf die wirtschaftlichen Bedingungen in den USA spricht dafür, dass die Inflation hauptsächlich durch Störungen auf der Angebotsseite und Verschiebungen in der Nachfrageentwicklung ausgelöst wurde. Vor diesem Hintergrund werden weitere Zinserhöhungen wenig bis gar keine Wirkung zeigen – und weitreichende eigene Probleme verursachen.

Neue Fans für neue EU-Schulden – Artikel
Björn Finke, Süddeutsche Zeitung, 23.01.23

Die Europäische Union will auf das massive, grüne Subventionsprogramm der USA reagieren und mehr Fördergeld verteilen. Wo das herkommen soll, ist jedoch umstritten. Ratspräsident Michel hat aber schon eine Idee.

Martin Wolf: zur Verteidigung des demokratischen Kapitalismus – Essay
Martin Wolf, Financial Times, 20.01.23

Die Verbindung von liberaler Wirtschaft und Demokratie hat der Welt unermesslichen Nutzen gebracht, steht aber vor ihrer härtesten Prüfung seit Jahrzehnten. Was muss getan werden?

Joseph Stiglitz: Besteuerung von Spitzenverdienern mit 70 %, um die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen – Artikel
Rupert Neate, The Guardian, 22.01.23

Joseph Stiglitz, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete keynesianische Wirtschaftswissenschaftler, hat gefordert, dass die Superreichen mit bis zu 70 % besteuert werden sollten, um die zunehmende Ungleichheit zu bekämpfen.

Eine neue internationale Wirtschaftsordnung (NIEO) gegen die Finanzialisierung – Blogbeitrag
Ann Pettifor, Progressive International, 19.01.23

Ann Pettifor vertritt die Auffassung, dass die globalen Ungleichheiten, die durch die Finanz- und Handelssysteme des Kapitalismus hervorgerufen werden, ihre Wurzeln in der Innenpolitik haben, die das Kapital gegenüber der Arbeit bevorzugt.

Wenn es so etwas gibt wie Leitgedanken, die Politik und Menschen in einem Land lenken, dann war es über ein paar Jahrzehnte die Idee, dass Probleme sich durch freie Märkte, mehr Globalisierung und Deregulierung am besten lösen lassen. So war das noch zu Zeiten der Agenda 2010, als privatisiert und dereguliert wurde. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem nicht nach dem Staat gerufen wird: zur Rettung von Banken oder Energiekonzernen, um Energiepauschalen auszugeben, Sonderfonds für die Bundeswehr einzurichten – oder Gaspreisbremsen zu beschließen. Eine neue Mode, wie Anhänger der Marktlehre seither unken? Ein flüchtiger Zeitgeist wider die ökonomische Vernunft?

Es mag etwas von einem Modephänomen haben. Was seit ein paar Jahren passiert, dürfte nur weit mehr sein – getragen von dem viel tiefer sitzenden Versuch, ein neues Leitbild zu entwickeln, das jenes vom Markt als oberstes Heilmittel ersetzt. Nicht weil es gerade Zeitgeist ist. Sondern weil das Dogma an seine Grenzen gestoßen ist.

Ob so ein neues gesellschaftlich-ökonomisches Paradigma entsteht – und in welchem Stadium es ist – das hat eine umfangreiche Studie zu ermitteln versucht, die gerade erschienen ist. Danach sind solche Leitbilder wichtig, um Politik in der Praxis zu lenken – und ein Urvertrauen in die Politik zu schaffen. Und genau dieses Urvertrauen ist mit dem Scheitern des marktliberalen Diktums geschwunden, wie etliche Auswertungen seither zeigen – spätestens seit der Finanzkrise 2008, die als Offenbarung für die angeblich so effizienten Finanzmärkte und Banken gewirkt hat.

Zum vollständigen Artikel geht es hier.

In einer kürzlich erschienenen Kolumne fragt sich Mark Schieritz, inwiefern die Grundsteuer auf Immobilien einer möglichen Reform der Vermögensteuer als Vorbild dienen könnte. Durch die vom Verfassungsgericht veranlasste Reform müssen Bodenrichtwerte, die der Steuer zugrunde liegen, neu berechnet und angepasst werden. Was nichts anderes ist, als eine Bewertung von Vermögensgegenständen. Genau das ist jedoch ein beliebtes Gegenargument bei Diskussionen um die Umsetzbarkeit einer Vermögensteuer.

Da das Immobilienvermögen privater Haushalte ca. dreimal so hoch ist, wie Vermögen auf Bankkonten und in Aktiendepots, ist es eine wichtige Komponente des Vermögens, während gleichzeitig die Ausweicheffekte kleiner ausfallen dürften. Warum nicht die Grundsteuer zu einer Art Vermögensteuer ausbauen?

Die politische Vorgabe lautet, dass die Reform der Steuer nicht zu Mehreinnahmen für den Staat führen darf. Deshalb ist sie so konstruiert worden, dass sich an den zu entrichtenden Beträgen am Ende nicht sehr viel ändern dürfte. Das könnte man aber ändern. Mit ein paar Handgriffen könnte sie so ausgebaut werden, dass die Vermögenden deutlich stärker an der Finanzierung der Staatsaufgaben beteiligt werden. Die entsprechenden Daten werden ja gerade ermittelt. Praktisch ist auch: Über die Bodenrichtwerte könnte die Wertsteigerung – oder der Wertverlust – einer Immobilie bei der Ermittlung der Steuer relativ unkompliziert berücksichtigt werden. Man müsste den Wert dann einfach regelmäßig abfragen.

Die ganze Kolumne gibt es hier.

Was treibt Innovation an? – Artikel
William H. Janeway, Project Syndicate, 20.01.2023

Nachdem die Industriepolitik jahrzehntelang in der Versenkung verschwunden war, wird sie nun als Instrument zur Bewältigung des Klimawandels und zur Navigation in einem schwierigen neuen geopolitischen Umfeld wiederentdeckt. Diese Entwicklung ist längst überfällig und durch die Wirtschaftsgeschichte seit dem Beginn der industriellen Revolution voll und ganz gerechtfertigt.

Die unfairen Kosten von Care-Arbeit – Artikel
Nancy Folbre, The Prospect, 18.01.2023

Eine ganz andere Art von Inflation.

Die geplante Reform der EU-Budgetregeln gibt der EU-Kommission zu viel Macht – Artikel (Paywall)
Philipp Heimberger, Handelsblatt, 16.01.2023

Die EU-Kommission will die Budgetregeln der Union ändern. Doch die Kommissionspläne würden eine gefährliche Willkür schaffen, warnt Philipp Heimberger.

Konzerne und Superreiche sind Krisengewinner – Artikel
Die Zeit, 16.01.2023

Lebensmittel- und Energiekonzerne haben einem Bericht zufolge vergangenes Jahr Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen erzielt. Zeitgleich nahm extreme Armut wieder zu.

Frankreich will Europas Industriepolitik revolutionieren – Artikel (Paywall)
Martin Greive, Julian Olk & Gregor Waschinksi, 15.01.2023

Die EU findet bisher keine gemeinsame Antwort auf US-Industriesubventionen im Zuge des Inflation Reduction Acts. Frankreich dringt dabei auch auf neue EU-Fonds – die Bundesregierung ist skeptisch.

Notwendige Zielgenauigkeit – Artikel
Achim Truger, Aus Politik und Zeitgeschichte, 02.01.2023

Die Entlastungsmaßnahmen sollten zielgenau ausgestaltet sein. Bei den privaten Haushalten sollten sie die Energiesparanreize erhalten sowie auf untere und mittlere Einkommen fokussiert sein.

UNSERE THEMENSCHWERPUNKTE

Neues Leitmotiv

NEUES LEITMOTIV

Nach ein paar Jahrzehnten allzu naiven Marktglaubens brauchen wir dringend neue Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – und mehr: ein ganz neues Paradigma als Leitfaden. Wir sammeln alles zu den Leuten und der Community, die sich mit dieser großen Frage beschäftigen, sowie mit der historischen wie heutigen Wirkung von Paradigmen und Narrativen – ob in neuen Beiträgen, Auftritten, Büchern und Veranstaltungen.

Staat
neu denken

STAAT
NEU DENKEN

Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

Klima
in Wohlstand
retten

KLIMA
IN WOHLSTAND
RETTEN

Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

Ungleichheit
verringern

UNGLEICHHEIT
VERRINGERN

Das Gefälle zwischen Arm und Reich scheint selbst in einem Land wie Deutschland zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Um den Trend umzukehren, ist es wichtig, die wirklichen Ursachen des Auseinandergehens von Einkommen und Vermögen zu verstehen.

Finanzwelt
erneuern

FINANZWELT
ERNEUERN

Auch zehn Jahre nach der Finanzkrise scheint eine wirkliche Stabilität des Finanzsystems nicht in Sicht zu sein. Risiken werden periodisch falsch bewertet und führen zu Boom-Bust-Zyklen. Ein stabileres Finanzsystem sollte kurzfristige Spekulationen erschweren, systemische Risiken begrenzen und das Vermögen gerechter verteilen.

Innovation Lab

INNOVATION LAB

Brauchen wir ein ganz neues Verständnis von Wirtschaftswachstum? Was wäre eine reale Alternative? Wie praktikabel sind Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt, wenn es um die Messung von Wohlstand geht? Um diese und andere grundsätzlichere Herausforderungen geht es in dieser Sektion.

Globalisierung
für alle

GLOBALISIERUNG
FÜR ALLE

Nach drei Jahrzehnten schlecht gemanagter Integration ist die Globalisierung durch soziale Unzufriedenheit und den Aufstieg populistischer Kräfte bedroht. Es gilt dringend die negativen Nebeneffekte auf viele Menschen zu beheben - und klarer zu definieren, welche Herausforderungen auf lokaler oder regionaler, und welche über Grenzen hinweg angegangen werden sollten.

Europa
jenseits
der Märkte

EUROPA
JENSEITS
DER MÄRKTE

Das Europa der vergangenen Jahrzehnte wurde stark vom Primat der Wirtschaft und dem Vertrauen in die Heilungskraft der Märkte geprägt. Die Euro-Krise hat dies erschüttert. Seither wird gestritten, wie die Währungsunion vor neuen Paniken besser geschützt werden kann – und wie sich das Auseinanderdriften von Ländern besser verhindern lässt.

Corona-Krise

CORONA-KRISE

Die aktuelle Corona Krise ist mitunter die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. ÖkonomInnen arbeiten intensiv an einer Milderung der wirtschaftlichen Folgen durch COVID-19. Es gilt eine zweite große Depression, den Zusammenbruch der Eurozone und das Ende der Globalisierung zu verhindern. Wir sammeln die wichtigsten Beiträge.