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der New-Economy-Ticker
Aktuelle Nachrichten, Debatten, Vorschläge und Entwicklungen zum neuen ökonomischen Denken auf einen Blick.
Schuldenregeln bringen einen grundlegenden Zielkonflikt zwischen Durchsetzbarkeit und Flexibilität mit sich. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel scheint es dem deutschen Finanzminister Christian Lindner nur um Verbindlichkeit zu gehen, ohne anzuerkennen, dass es überhaupt einen Konflikt gibt. Weil er befürchtet, dass die Höhe der Staatsverschuldung zu einem „Gegenstand politischer Verhandlungen“ wird, fordert er eine bessere Durchsetzung durch eine einheitliche Regelung, um „jedes Jahr einen ausreichenden Schuldenabbau“ zu gewährleisten.
Gemeinsame finanzpolitische Regeln müssen einen raschen und ausreichenden Abbau von Defiziten und hohen Schuldenquoten gewährleisten und gleichzeitig die notwendigen öffentlichen und privaten Investitionen ermöglichen. Die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Finanzen durch Prioritätensetzung bei den Ausgaben ist nach wie vor entscheidend. Um diesen Zielen gerecht zu werden, müssen die erstmals im Vertrag von Maastricht festgelegten Referenzwerte von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Defizitquote und 60 Prozent des BIP für die Schuldenquote unangetastet bleiben. Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit im Falle eines Verstoßes gegen das 3-Prozent-Defizitkriterium war in der Vergangenheit unser wirksamstes Durchsetzungsinstrument. Daran darf sich nichts ändern. […]
Darüber hinaus sind Schutzbestimmungen erforderlich, die sicherstellen, dass die Schuldenquoten, die die Maastricht-Referenzwerte überschreiten, in jedem Jahr tatsächlich zurückgehen. Wir brauchen auch weitere Maßnahmen, um die Einhaltung durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sowie weniger Ermessensspielraum bei der Auslegung und Anwendung der Regeln.
Nimmt man diese Formulierung ernst, so scheint der Vorschlag die Probleme einer prozyklischen Finanzpolitik und politischer Zwänge zu ignorieren, worauf Sander Tordoir hindeutete.
Budget policy is at the heart of democracy: you cannot wish politics away. Wolfgang Schäuble, the former German fin minister who was also a staunch proponent of tight fiscal policy, backed out of sanctioning Spain and Portugal in 2016 because he worried about political stability
— Sander Tordoir (@SanderTordoir) April 25, 2023
Wie Olivier Blanchard und Jeromin Zettelmeyer in einem kürzlich erschienenen Bericht schreiben, geht der deutsche Vorschlag zudem auf das Hauptproblem des Kommissionsvorschlags ein: Transparenz und gemeinsame Regeln für den Rahmen der Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA). Während Deutschland DSAs als ein Tier zu betrachten scheint, das nicht gezähmt werden kann und daher in einem Käfig gehalten werden muss“, betonen Blanchard und Zettelmeyer die Stärke von DSAs, um Schuldenrisiken und Anpassungsbedarf zu identifizieren“. Sie schlagen daher transparente Regeln für den Rahmen vor, um die Bestie zu zähmen:
Aber DSAs beißen nicht, und sie können sicherlich gezähmt werden. Anstatt zu einfachen numerischen Regeln zurückzukehren, sollten sich die deutsche Regierung – und die Kommission – darauf konzentrieren, die Schlussfolgerung des Rates umzusetzen, dass „der Zielpfad der Kommission auf einer zu vereinbarenden gemeinsamen Methodik beruhen sollte, die replizierbar, vorhersehbar und transparent ist und eine Analyse der öffentlichen Verschuldung und der wirtschaftlichen Herausforderungen umfassen sollte.
In seinem Artikel scheint Linder mit einem Ende der Reform zu drohen:
Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts kann kein Selbstzweck sein. Sie ist nur akzeptabel, wenn wir den Rahmen deutlich verbessern. Andernfalls wäre es nicht ratsam, die Regeln zu ändern.
Wie Blanchard und Zettelmeyer argumentieren, wäre dies „gefährlich für die Zukunft und ein schwerer Schlag für den Aufbau der EU, der um jeden Preis vermieden werden muss“.
Fünf Vorschläge für anwendbare EU Fiskalregeln – Policy Brief
Sander Tordoir , Jasper van Dijk, Vinzenz Ziesemer, CER, 17.04.2023
Die EU Fiskalregeln sind dringend zu reformieren. Sie sind zu kompliziert, verlangen von einigen Ländern unrealistische Anpassungen und fördern prozyklische Finanzpolitik. Mitgliederstaaten haben sich nur in etwa der Hälfte der Fälle an die Regeln gehalten.
CDU bereitet radikale Steuerwende vor – Artikel (Paywall)
Manfred Schäfers, FAZ, 17.04.2023
Topverdiener sollen mehr zahlen, damit die Mittelschicht profitiert. Auch eine echte Neuregelung bei der Erbschaftsteuer sehen die Steuer-Pläne der CDU vor.
Wo sind die Gewerkschaften? – Artikel
Rana Foroohar, Financial Times, 17.04.2023
Bidens Inflation Reduction Act bietet eine Chance auf Zusammenarbeit der Arbeitnehmerseite auf beiden Seiten des Atlantiks.
Expertenrat sieht Klimaziele 2022 nur teilweise erreicht und ordnet die geplante Novelle des Klimaschutzgesetzes ein – Pressemitteilung
Expertenrat für Klimafragen, 17.04.2023
Der Expertenrat für Klimafragen hat heute seinen Prüfbericht zu den Emissionsdaten 2022 vorgelegt. In dem gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) jährlich erstellten Bericht prüft und bewertet der Expertenrat die vom Umweltbundesamt nach sieben Sektoren gegliederte Berechnung der Vorjahres-Treibhausgasemissionen. Neben der Prüfung legt der Expertenrat vertiefend die Emissionsentwicklung einzelner Sektoren dar und nimmt eine Einordnung der Eckpunkte des Koalitionsausschusses vom 28. März zur Novelle des Klimaschutzgesetzes vor.
Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen – Artikel
Laurent Grandguillaume & Niels Planel, Social Europe, 17.04.2023
Soziale Unternehmen können Langzeitarbeitslosen einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Inaktivität bieten, wie Frankreich zeigt.
Marcel Fratzscher zur deutschen Industriepolitik: „Ich halte das für einen Irrweg“ – Interview (Paywall)
Julian Olk, Handelsblatt, 13.04.2023
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung geht mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Er warnt vor fatalen Folgen der geplanten Rückkehr der Industriepolitik.
Illusionen der Deregulierung – Artikel
Uwe Fuhrmann, Phenomenal World, 12.04.2023
Der Mythos von Deutschlands „Sozialer Marktwirtschaft“.
Korrigiert sich die Ökonomik selbst? – Artikel
Robert Kuttner, The American Prospect, 07.04.2023
Es gibt mehr Ökonom*innen, die sinnvolle und realitätsnahe Arbeit machen. Aber je höher es auf die Spitze der Profession geht, desto weniger hat sich verändert.
Obwohl so manche Marktfundamentalisten gerne die Rolle des Wettbewerbs betonen, neigt der Kapitalismus dazu, Monopole hervorzubringen. Wie ein neuer Report des Global Justice Netzwerkes zeigt, dominieren riesige Konzerne mit enormer Macht die globale Wirtschaft, indem sie Gesetze und Steuern umgehen und Einfluss auf Regierungen ausüben.
Im Jahr 2021 überstieg das kombinierte Einkommen der Top 500 Unternehmen weltweit 3 Billionen US-Dollar, was fast 40% der gesamten Weltwirtschaft entspricht. Die Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger Unternehmen führt zu Ungleichheit, hemmt Innovationen und untergräbt die Demokratie. Die Regeln der globalen Wirtschaft, oft von den Unternehmen selbst entworfen, perpetuieren diesen Kreislauf von Unternehmensmacht und Reichtumsakkumulation. Monopolistischer Kapitalismus treibt nicht nur höhere Preise voran, sondern verschiebt auch die Macht weg vom öffentlichen Interesse und erschwert die Bemühungen zur Bewältigung dringender Herausforderungen wie dem Klimawandel. Es ist entscheidend, die Unternehmensmacht zurückzugewinnen, zu brechen, zu dezentralisieren und zu verteilen, um demokratische Entscheidungen zu treffen, die der Mehrheit zugutekommen und eine gerechte globale Wirtschaft fördern.
Den ganzen Bericht Monopolkapitalismus gibt es hier.
Deutschland braucht keine angebotspolitische Zeitenwende – Artikel
Achim Truger, WSI Mitteilungen
Tiefe Wirtschaftskrisen, wie sie durch die Corona-Pandemie und die Energiekrise hervorgerufen wurden, sind schlechte Zeiten für Marktliberale und Ordnungspolitiker*innen, die sich traditionell gegen staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft und für einen schlanken Staat aussprechen.
Der Mythos im Herzen der modernen Wirtschaft – Interview
Seth Ackerman im Interview mit James Forder, Jacobin, 10.04.2023
Eine erfundene Geschichte über die Ursachen der Inflation in den 1970er Jahren, die in Schulbüchern und in der New York Times wiederholt wird, spielt heute eine überraschend wichtige Rolle bei der Gestaltung der Wirtschaft. Sie könnte durchaus dazu beigetragen haben, die laufende Kampagne der Fed zur Herbeiführung einer Rezession voranzutreiben.
Auf der Suche nach einer neuen politischen Ökonomie – Artikel
Daron Acemoglu, Project Syndicate, 07.04.2023
Die Annahme des späten zwanzigsten Jahrhunderts, dass Demokratie und Märkte letztendlich überall triumphieren würden, hat seitdem eine intellektuelle Gegenreaktion ausgelöst, die sogar noch falscher ist. Um einen besseren Weg in die Zukunft zu finden, müssen wir unser Denken in mehreren Politikbereichen gleichzeitig überdenken.
Bundeskartellamt erhält so viel Macht wie nie zuvor – Artikel (Paywall)
Martin Greive & Julian Olk, Handelsblatt, 04.04.2023
Der Minister hat sich mit seinen Kabinettskollegen Lindner und Buschmann auf eine grundlegende Reform des Wettbewerbsrechts geeinigt – inklusive Zerschlagungen. Der Protest der Wirtschaft ist massiv.
Die Banken-Regulierung hat versagt – Essay (Paywall)
Meike Schreiber, Süddeutsche Zeitung, 02.04.2023
Die Notübernahme der Credit Suisse und der Kollaps mehrerer US-Regionalbanken zeigen: Das Bankensystem ist 15 Jahre nach der Finanzkrise noch viel zu fragil. Jetzt braucht es völlig neue Ansätze.
Wie Profite die Inflation befeuern – Artikel (Paywall)
Christian Siedenbiebel, FAZ, 29.03.2023
Pandemie, Ukrainekrieg, Energieschock – das alles trug zur Inflation bei. Aber spielen auch höhere Margen von Unternehmen eine Rolle? Die EZB wagt sich an das Thema.
Das allgemeine wohlfahrtsökonomische Argument gegen Ungleichheit erfordert inter-personelle Wohlfahrtsvergleiche und beruht auf der Annahme einer allgemeingültigen abnehmenden Grenznutzenfunktion. Nimmt man in diesem Fall einer reichen Person einen Euro weg und gibt ihn einer armen Person, erhöht sich die soziale Wohlfahrt, weil der Wohlfahrtsgewinn größer ist als der Verlust.
In einem kürzlich erschienenen Blogbeitrag nennt Branko Milanovic drei Gründe, warum wir uns um Ungleichheit kümmern sollten, auch ohne die Notwendigkeit zwischenmenschlicher Nutzenvergleiche (die umstritten sind):
Den ganzen Beitrag gibt es hier.
Wie lässt sich Ungleichheit bekämpfen? Eine interessante Idee zur Reichenbesteuerung kommt von den Patriotic Millionaires, einer amerikanischen Organisation von Millionären, die mehr Steuern zahlen wollen. Lesen Sie hier ein Interview mit ihrem Vorsitzenden Morris Pearl über eine Vermögenssteuer, die automatisch mit dem Grad der Ungleichheit steigt und fällt.