DER STAAT

Wie viele Schulden sind zu viel?

Angesichts von Rekordverschuldungen der öffentlichen Hand steht die Frage im Raum: wie viel Schulden sind zu viel? Vier Ökonomen haben diese Frage nun in einer Podiumsdiskussion erörtert.

VON

DAVID KÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

1. JULI 2021

LESEDAUER

2 MIN.

Die schlechte Nachricht zuerst: Es gibt keine magische Zahl einer Schuldenquote als Antwort auf die Frage, wie viel Schulden zu viel sind. Darin waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Die gute Nachricht: Es gab genug interessante Themen zu diskutieren in der neuen Folge der Debt Talks Serie, die vom Institute for New Economic Thinking organisiert wurde. Podiumsteilnehmer waren Claudia Sahm, Gründerin von Stay-At-Home-Macro und ehemalige Federal Reserve Ökonomin, Ludwig Straub, Assistenzprofessor an der Harvard University, Rüdiger Bachmann, Professor an der University of Notre Dame. Moderiert wurde die Sitzung von Moritz Schularick, Professor an der Universität Bonn und in der Forschungsabteilung der Federal Reserve Bank of New York.

Der Anbruch einer neuen Ära?

Wir haben vor einiger Zeit schon schon ein paar Beiträge darüber geschrieben, wie Bidenomics mit massiver fiskalischer Expansion ein neues Paradigma in der Wirtschaftspolitik einleiten könnte. Ob der Wechsel von der monetären zur fiskalischen Dominanz in der makroökonomischen Stabilisierungspolitik den Anbruch einer neuen Ära darstellt, war ebenfalls eine der heiß diskutierten Fragen in dieser Sitzung. Laut Claudia Sahm hat sich die Wirtschaftspolitik im letzten Jahrzehnt stark gewandelt. Um die Kapitalmärkte in dieser Zeit zu umschreiben, passt am besten der Begriff der Sparschwemme. Zu den Ursachen für den Überschuss an Ersparnissen gegenüber den Investitionen gehören zum einen strukturelle Gründe wie die Alterung der Bevölkerung, was zu höheren Ersparnissen als Vorbereitung für den Ruhestand führt. Eine andere Erklärung, so Ludwig Straub, konzentriert sich auf den Anstieg der Ungleichheit, da reiche Menschen im Durchschnitt mehr sparen. Überschüssiges Sparen drücke die Zinssätze nach unten und führe zu schleppendem Wachstum. Damit seien die konventionellen geldpolitischen Instrumente eingeschränkt, die Hände der Zentralbanker gebunden. Um die Wirtschaft anzukurbeln, müssen sie nun unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen ergreifen, was zu dem führt, was Ludwig Straub als „säkulare Stagnation auf Steroiden“ bezeichnet hat. Wie Claudia Sahm feststellte, gehen unkonventionelle Maßnahmen der Zentralbanken mit Problemen bei der Ungleichheit einher, was die Sparschwemme weiter verschärfen könnte. Es scheint also an der Zeit zu sein, dass die Fiskalpolitik eingreift. Die Frage ist nur: wie?

Was soll mit dem Geld gemacht werden?

Wenn man darüber spricht, wie viel Schulden (im Verhältnis zum BIP) zu viel sind, gibt es immer eine zweite Seite der Medaille: Wie viel BIP (Wachstum) ist zu wenig? Claudia Sahm forderte in der Diskussion, dass wir eine große Wachstumsrate brauchen. Wie sollte die Finanz- und Fiskalpolitik gestaltet sein, um dieses Ziel zu erreichen? Laut Ludwig Straub kann der Staat über konjunkturelle Maßnahmen eingreifen und die Lücke zwischen Sparern und Ausgabenträgern schließen, indem er die öffentlichen Ausgaben erhöht. Darüber hinaus kann er auch die zugrundeliegenden Ursachen wie Ungleichheit mit mehr Umverteilung oder öffentlichen Investitionen in Schulen angehen. Regierungen sollten überschüssige Ersparnisse des privaten Sektors nutzen und Kredite zu niedrigen Zinssätzen aufnehmen, um ihre Aktivitäten zu finanzieren.

Die Schwarze Null für den nötigen finanziellen Spielraum? Die Perspektive der deutschen Schuldenbremse

Bedeutet dies, dass die Staatsverschuldung keinerlei Beschränkungen unterliegt? Mit der Einführung der Schuldenbremse scheint Deutschland jedenfalls seine Antwort auf die Frage gefunden zu haben, wie viel Schulden zu viel sind. Laut Rüdiger Bachmann ist die Schuldenregel in ihrer jetzigen Form ökonomisch dumm, da sie nicht ausreichend flexibel ist. Im Allgemeinen, befürwortet er jedoch einen Regelrahmen, um mit dem Problem der Zeitinkonsistenz umzugehen, das durch die kurzfristige Orientierung von Regierungen entsteht, die wiedergewählt werden wollen. Da es schwierig ist, eine marktbasierte Regel, die das makroökonomische Umfeld (z.B. Zinsen) einbezieht, in die Verfassung zu schreiben, hat er die Einführung eines unabhängigen Finanzrates als Erweiterung der Schuldenbremse vorgeschlagen. Was den USA betrifft, so beobachtet Bachmann bereits einige negative angebotsseitige Effekte der großen Biden-Pakete, wie z.B. Arbeitskräftemangel. Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass es immer und überall Zielkonflikte gibt und auch die Staatsverschuldung ihre Grenzen hat; dennoch sollte man sich nicht lediglich an den Kosten der Staatsverschuldung festbeißen, ohne dabei die Kosten von Unterinvestitionen, geringem Wachstum und Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen.

Die gesamte Sitzung wird demnächst hier veröffentlicht.

Eine vorherige Sitzung der Debt Talks Serie über europäische Banken hat das Forum zusammen mit dem Institute for New Economic Thinking organisiert.

ZUM THEMA DER STAAT

KNOWLEDGE BASE

Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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