DER STAAT
New Paradigm Knowledge Base – Update zur Rolle des Staates
Welche Rolle sollte der Staat in der Innovationspolitik spielen? Wie können die für den Klimaschutz nötigen Infrastrukturinvestitionen staatlich finanziert werden? Erfordert eine sozial gerechte Umsetzung des Green New Deal, dass die EU ihre Schuldenregeln lockert?
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
29. OKTOBER 2021LESEDAUER
4 MIN.Die erste Sitzung unseres IX New Paradigm Workshops hatte zum Ziel, ein Update zu neuen ökonomischen Theorien in den folgenden Bereichen zu geben: i) Rolle des Staates, ii) Klima und iii) Fiskalpolitik.
RAINER KATTEL erläuterte die Entstehung einer neuen Denkweise in Bezug auf die Innovationspolitik und den Paradigmenwechsel weg vom „hands-off“-Ansatz hin zu einer größeren Rolle für den Staat. Er hob zwei Bereiche hervor, die für eine aufgabenorientierte Politik von besonderer Bedeutung sind, und zwar das nachhaltige Finanzsystem und die Wettbewerbspolitik. In der Vergangenheit war ein Großteil der Innovationspolitik auf militärische und sicherheitspolitische Erfordernisse zurückzuführen und ging nicht ausreichend auf die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen ein („Mond- und Ghetto-Paradoxon“). Künftig muss die Innovationspolitik unter Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit und mit einem ganzheitlichen Ansatz umgesetzt werden, der die Auswirkungen auf alle relevanten Sektoren berücksichtigt.
PHILIPP STEINBERG (BMWI, BERLIN) stimmte in der Hinsicht zu, dass eine grüne Transformation der Wirtschaft notwendig sei. Er erklärte, dass sein Ministerium an der Ausweitung der grünen Beschaffung und der Verbesserung des Wettbewerbsrechts arbeite. Seiner Ansicht nach können (neo)klassische Argumente Markteingriffe im Falle von Marktversagen rechtfertigen. Unter Bezugnahme auf die Idee eines „unternehmerischen Staates“ sagte er, dass er nicht so weit gehen würde, sondern eher den Begriff eines „transformativen Staates“ wählen würde, der bestimmte aufgabenorientierte Ziele umsetzt.
Nach Ansicht von TOM KREBS sollte der Eckpfeiler einer modernen Klimapolitik darin bestehen, die öffentlichen (Infrastruktur-)Investitionen zu erhöhen, insbesondere in den Bereichen Verkehr und Energie, da dies grünes Wachstum und Arbeitsplätze schaffen wird. Schuldenfinanzierte öffentliche Investitionsprojekte, u. a. in das Eisenbahnsystem, das Energienetz und die Wasserstoffwirtschaft, könnten aufgrund ihrer hohen (sozialen) Rendite wirtschaftlich sinnvoll sein. Er erläuterte mögliche Wege für öffentliche Investitionen, die zur Erreichung der Netzneutralität bis 2045 notwendig sind und mit der deutschen Schuldenbremse vereinbar wären.
KATHARINA BOHNENBERGER lenkte die Diskussion auf das Ausmaß der wirtschaftlichen Transformation, die notwendig ist, um die Welt auf den Weg zum 1,5-Ziel zu bringen: ein rascher Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen oder eine „Exnovation“ des braunen Energiesektors, während gleichzeitig das Problem der sozialen Ungleichheit im Allgemeinen und der Ungleichheit im Energiekonsum im Speziellen angegangen wird.
Während der Pandemie haben die EU-Mitgliedstaaten hohe Haushaltsdefizite angehäuft, weshalb einige EU-Mitgliedstaaten (vor allem die „sparsamen Vier“) eine rasche Rückkehr zu den Haushaltsregeln fordern. Andere warnen hingegen davor, die Fehler aus der EU-Staatsschuldenkrise zu wiederholen, nämlich die Haushalte zu früh im Aufschwung zu kürzen. CATHERINE MATHIEU präsentierte die aktuelle akademische Diskussion über Alternativen zu den bestehenden und etwas willkürlichen EU Fiskalregeln (60% Schuldenstand/BIP, 3% Defizit/BIP, 0,5% strukturelles Defizit/BIP). Die meisten Vorschläge konzentrieren sich auf eine Regel, die die öffentlichen Ausgaben begrenzt. Ein anderer Ansatz, den Blanchard et al. (2021) vorschlagen, wäre der Austausch fiskalischer Regeln durch fiskalische Standards, die von neu geschaffenen unabhängigen fiskalischen Institutionen überwacht würden. Diese müssten allerdings ihre Entscheidungen auf der Basis von stochastischen Schätzungen der Wahrscheinlichkeit einer Staatsinsolvenz treffen, die grundsätzlich mit hoher Unsicherheit verbunden ist. Daher schlagen Mathieu und Sterdyniak (2021) ein neues fiskalisches Paradigma vor: Die Mitglieder sollten die Möglichkeit haben, einen Haushaltssaldo zu bestimmen, der mit ihren makroökonomischen Bedürfnissen im Einklang steht, und sich auf eine offene Koordinierung einigen, bei der sie Wachstum, Vollbeschäftigung und die ökologische Transition anstreben sollten.
CHRISTIAN BREUER formulierte die EU-Fiskalpolitik in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse. Während die Kosten, die dadurch entstehen, dass den Ländern eine Stabilisierungspolitik untersagt wird, oft übersehen werden, ist das Niedrigzinsumfeld ein gutes Argument für eine Lockerung der Fiskalregeln. Er warf zudem die Frage auf, welche Rolle Länder wie z.B. Deutschland beim Abbau ihrer übermäßigen Leistungsbilanzüberschüsse spielen könnten.