KLIMA

Modern Climate Policy: lessons from the US for Europe

Eine Zusammenfassung des Berlin Summit „Winning back the people“, Mai 2024

VERÖFFENTLICHT

14. JUNI 2024

Der Schwerpunkt auf öffentliche Investitionen als Klimapolitikstrategie, wie wir ihn beim Biden’s Inflation Reduction Act (IRA) sehen, steht im Kontrast zur Fokussierung auf CO2-Bepreisung, wie sie in europäischen Klimapolitikdebatten meist vorherrscht. Angesichts der großen Herausforderungen, die wir mit der grünen Transformation bewältigen müssen, von der Senkung der Kosten für saubere Technologien über die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur bis zur Sicherstellung der sozialen Akzeptanz und einer ‚Just transition‘, stellt sich die Frage: Können wir aus dem US-Ansatz Lehren für die EU und europäische Länder ziehen? Auf dem Berlin Summit wurde diese Frage in der Session „Modern Climate Policy – lessons from the US for Europe“ lebhaft diskutiert.

Aktuelle Daten des „Clean Investment Monitors“, zeigen, dass der IRA bislang effektiv private Investitionen in saubere Energietechnologien steigern konnte – insbesondere in den Bereichen emissionsfreie Fahrzeuge, Batteriefertigung und Solarenergie. Während 2021 die privaten US-Investitionen in Cleantech bei etwa 140 Milliarden Dollar lagen, beliefen sich die neuen Investitionen 2023 schon auf 240 Milliarden Dollar. Im Gegensatz zu diesem Trend sind die jährlichen Investitionen in saubere Energie in Europa insgesamt höher, steigen derzeit jedoch nicht an. Die EU fördert Klimaanstrengungen zwar ebenfalls mit erheblichen Summen, diese sind aber auf verschiedene EU-Programme verstreut. Der European Green Deal konzentriert sich eher auf die Stärkung des Emissionshandels. Als Reaktion auf den IRA hat die EU den „Net-zero Industry Act“ verabschiedet, der strategische Netto-Null-Technologien definiert, und die EU-Beihilfevorschriften reformiert, um den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Unterstützung dieser Cleantech-Sektoren zu ermöglichen. Da der nächste EU-Haushaltszyklus erst 2028 beginnt, liegt es derzeit an den Mitgliedstaaten, neue Investitionsanreize zu schaffen.

Wie mehrere Diskussionsteilnehmer betonten, ist die Leitfrage der Sitzung recht kontrovers: Die EU hat ihren „Green Deal“ nicht nur vor den USA ins Leben gerufen, sie hat auch einen viel umfassenderen Klimapolitikrahmen, mit einem Mix aus Subventionen, CO2-Bepreisung und Regulierung. Zudem importieren die US derzeit große Teile der Produktionsmittel für die Cleantech-Sektoren aus der EU. Ist die EU den USA also in Sachen Klimapolitik nicht weit voraus?

Zunächst löste die Frage eine Diskussion darüber aus, dass die Kombination verschiedener Politikinstrumente notwendig ist, um ehrgeizige Klimaziele zu erreichen. Insgesamt wurde der US-amerikanische Ansatz als einseitig betrachtet: Durch das ausschließliche Setzen auf Subventionen profitiert das Land derzeit von den „low-hanging fruits“ der CO2-Reduktion. Dies wird jedoch voraussichtlich nicht ausreichen, um langfristig Klimaneutralität zu erreichen, was die echten Herausforderungen der Klimapolitik auf später verschiebt. Schätzungen zufolge wird der IRA mit seinem aktuellen Budget nur Emissionsreduktionen von 35% bis 2030 erreichen – 5 % weniger als das 40%-Reduktionsziel der USA. Die Einfachheit des Gesetzespakets und der leichte Zugang zu Finanzierung wurden als große Vorteile des IRA gesehen. Die EU verfügt jedoch nicht über den entsprechenden Steuerpolitik-Rahmen, um eine solche Einfachheit zu erreichen. Eine Mischung aus mehreren Politikinstrumenten, die direkte Investitionen mit CO2-Bepreisung und Regulierung kombiniert, wurde als essenziell betrachtet, um unter diesen Umständen die Klima-Emissionen auf null zu reduzieren. Dies hat verschiedene Vorteile: Investitionspolitik verringert den Druck, hohe Preise im Emissionshandel zu erzielen. Umgekehrt spielt die CO2-Bepreisung auch eine Rolle dabei, Investitionen zu motivieren. Wie ein Redner in der Session es ausdrückte: „Aufgrund von Subventionen können wir investieren, aufgrund der CO2-Bepreisung wollen wir investieren.“ Während die Diskussionsteilnehmer sich einig waren, dass Industriepolitik ein wichtiger Bestandteil des Klimapolitikmixes ist, kristallisierte sich als eigentliche Fragestellung heraus: Wann verwenden wir welches Politikinstrument?

Dennoch kann der europäische Klimapolitikmix weiter verbessert werden, und was beim Blick auf den US-Ansatz auffällt, ist, dass die öffentlichen Ausgaben über den IRA recht zielgerichtet sind. Im Vergleich dazu hat die EU derzeit keine klare Finanzstrategie zur Unterstützung ihrer sauberen Energiesektoren. Angesichts erheblicher Haushaltsbeschränkungen muss die Klimafinanzierung besser koordiniert und auf Sektoren ausgerichtet werden, die für die Transformation jener Basis-Industrien entscheidend sind, in denen die Treibhausgasreduktion noch eine große Herausforderung darstellt, etwa in den Bereichen Stahl, Zement und Chemie. Eine wichtige Rolle spielen dabei z.B. Elektrifizierung, Energieeffizienz, grüner Wasserstoff und CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Eine weitere Lektion aus den USA ist die Bedeutung florierender Binnenmärkte für die öffentliche Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen. Eine zügige Umsetzung des Europäischen Green Deal muss von der Schaffung florierender Märkte begleitet werden. Die Industriepolitik spielt eine wichtige Rolle dabei, die Investitionschance zu nutzen, die der Übergang zu sauberer Energie darstellt. Wie ein Diskussionsteilnehmer hervorhob, „hat es noch nie einen Investitionsboom aufgrund der CO2-Bepreisung gegeben.“ Stattdessen sind positive Anreize erforderlich, um die Preiselastizität der Nachfrage zu ändern und somit eine perfekte Alternative zu kohlenstoffintensiven Optionen zu schaffen. Es ist jedoch wichtig, klar zwischen Subventionen und Protektionismus zu unterscheiden. Die Steuervergünstigungen des IRA belohnen die Verwendung von heimischen Rohstoffen und Produktionsmitteln, was nicht nur die Produktionskosten in die Höhe treibt, sondern auch für Risiken in der Lieferkette sorgt und erhebliche internationale Auswirkungen haben kann. Die USA haben es versäumt, ihre heimischen Investitionsanreize durch internationale Strategien zu ergänzen, wie etwa durch eine internationale Förderung in der Art eines „Marshall-Plans fürs Klima“, der positive Spillover-Effekte ermöglichen würde – ein Fehler, den die EU vermeiden sollte.

Zu den wichtigsten Lehren aus den USA gehört die Notwendigkeit eines überzeugenden Narrativ im Zusammenhang mit der Klimapolitik. Im Kontext des IRA wurde der Klimaschutz als Chance dargestellt, während er in Europa tendenziell als Belastung wahrgenommen wird. Hier lautet das vorherrschende Narrativ, dass wir Opfer bringen müssen, um Klimaneutralität zu erreichen. Teilweise gibt es bislang auch konkurrierende Erzählungen innerhalb von Regierungen. Um die gesellschaftliche Akzeptanz von Klimapolitik sicherzustellen, ist ein einheitliches Narrativ notwendig, das eine lebensnahe, progressive Vision widerspiegelt. Ein neues Narrativ, das gesellschaftlich besser akzeptiert sein könnte, ist die Darstellung von Klimapolitik als Sicherheitspolitik, im Sinne der Erlangung von Energieunabhängigkeit von anderen Ländern.

Schließlich war die Notwendigkeit einer angemessenen Entschädigung für die sozialen Auswirkungen der CO2-Bepreisung ein zentrales Thema der Diskussion. Teilnehmer äußerten sich besorgt über die sozialen Herausforderungen, die die Einführung von ETS2 (die Erweiterung des EU-ETS auf Sektoren wie Gebäude, Kleinindustrie und Straßenverkehr) mit sich bringen wird. Die negativen Auswirkungen eines effektiven CO2-Preises in diesen Sektoren auf individuelle Haushalte könnten massiv sein, und der angekündigte Sozialklimafonds der EU in Höhe von rund 65 Milliarden Euro wurde als zu gering betrachtet, um den Schock abzufedern. Um die soziale Kohäsion in der EU während der Einführung von ETS2 zu gewährleisten, könnten die Einnahmen aus dem Emissionshandel an ärmere Haushalte in Form von Klimadividenden zurückfließen. Darüber hinaus ist es essenziell, Investitionen anzukurbeln, die speziell einkommensschwachen und gefährdeten Haushalten zugutekommen.

ZUM THEMA KLIMA

KNOWLEDGE BASE

Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

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