UNGLEICHHEIT
Recap: Schwindet bald der Gender Pay Gap?
Bietet der Fachkräftemangel die Chance, das Gehaltsgefälle endlich schrumpfen zu lassen oder bestehen die strukturellen Ursachen des Gender Pay Gap auf absehbare Zeit fort? Dies haben wir am 14. März mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus diskutiert.
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
16. MÄRZ 2023LESEDAUER
5 MIN.Mit einer statistischen Lohnlücke zwischen Männern und Frauen von ca. 18% zählt der Gender-Pay-Gap in Deutschland zu den höchsten in Europa. Berufe mit hohem Frauenanteil sind schlechter bezahlt als ähnlich fordernde Berufe mit hohem Männeranteil und viele Frauen arbeiten in Teilzeit oder Minijobs, um die Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen sicherzustellen. Werden die demografische Entwicklung und der damit einhergehende Fachkräftemangel die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt zugunsten der Gleichberechtigung verändern? Und wie können strukturelle Ursachen der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt abgebaut werden?
Bei unserer Abendveranstaltung am 14. März 2023 im ProjektZentrum Berlin der Stiftung Mercator erläuterte Bundesfamilienministerin Lisa Paus ihre Perspektive und die Pläne der Bundesregierung. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit den Journalistinnen Sabine Rennefanz und Margaret Heckel und der DIW-Ökonomin Katharina Wrohlich sowie der Aufsichtsrätin und Managerin Simone Menne ging es neben wirtschaftspolitischen Maßnahmen auch um einen Kulturwandel hin zu mehr Gleichberechtigung im Arbeitsleben.
In ihrer Eingangsrede beschrieb Bundesfamilienministerin Lisa Paus die zunehmende soziale Ungleichheit, Kinderarmut und Altersarmut als Anzeichen dafür, dass der Markt nicht aus sich heraus funktioniere, sondern dass sozial-ökologische Leitplanken nötig seien. Als bestimmende strukturelle Ursachen der Lohn- und Rentenlücke nannte sie die Teilzeitarbeit, veraltete Entgeltstrukturen und steuerliche Nachteile. Ein entscheidender Faktor, warum sich in den vergangenen Jahrzehnten trotz vieler Bemühungen keine Besserung zeigt, ist die Sorgearbeitslücke: Nach wie vor leisten Frauen durchschnittlich etwa doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer. Die geringere Lebensarbeitszeit, insbesondere von Müttern, die über viele Jahre in Teilzeit und Minijobs arbeiten, schlägt sich statistisch in einem höheren Risiko für Altersarmut nieder. Im Durchschnitt erhalten Rentnerinnen nur etwa die Hälfte des in Deutschland bei Männern üblichen durchschnittlichen Rentenniveaus.
Die Ministerin wies darauf hin, dass viele gut ausgebildete Frauen gern ihre Stundenzahl erhöhen wollten, dass sich aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch als schwierig erweise. Schätzungen zufolge seien etwa 840.000 Arbeitskräfte mehr am Arbeitsmarkt verfügbar, wenn Mütter mit Kindern unter 6 Jahren bessere Bedingungen erhielten, um in Vollzeit zu arbeiten. Als Lösungen zeigte die Ministerin die Stärkung der staatlichen Infrastruktur wie etwa im Bereich der Kindertagesstätten auf. Auch zeigten die vorbildlichen Entwicklungen in nordeuropäischen Ländern, dass staatliche Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit dazu beitragen, dass Müttern der Wiedereinstieg in ihre Berufslaufbahn nach der Elternzeit einfacher gelingt. Eine gesellschaftliche Debatte über neue Arbeitszeitmodelle sowie über familienfreundliche Unternehmenskultur seien daher wünschenswert. Darüber hinaus soll die Erwerbsbeteiligung von Frauen durch die im Koalitionsvertrag genannte Abschaffung des Ehegattensplittings gefördert werden. Zugleich betonte Lisa Paus, dass eine höhere Erwerbsbeteiligung allein nicht automatisch zu einer kleineren Lohnlücke führen werde. Im Entgeltsystem unterschätzte Arbeitsleistungen in typischen Frauenberufen wie etwa in der Altenpflege seien zu korrigieren. Des Weiteren sei das Entgelttransparenzgesetz zu reformieren. Darüber hinaus seien noch mehr Anstrengungen nötig, um Stereotype in der Berufs- und Studienwahl aufzubrechen.
Zu Beginn der Podiumsdiskussion prognostizierte Margaret Heckel, dass die demographische Entwicklung die Arbeitnehmermacht der Frauen stärken und somit auch langfristig die Gleichberechtigung stärken wird. Nach ihrer Einschätzung ist die Tragweite des Fachkräftemangels noch unzureichend im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Insbesondere im Niedriglohnsektor sei der Anteil von Tätigkeiten, die nicht durch Automatisierung ersetzt werden können (bspw. in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Erziehung) besonders hoch. Daher sollten Frauen ermutigt werden, öfter den Arbeitsplatz zu wechseln und so einen höheren Verdienst und bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln.
„Die Demographie ist der Freund der Frauen.“
Sabine Rennefanz konstatierte, dass es viele Frauen nicht wohlwollend aufnehmen, lediglich als ‚stille Reserve‘ angesehen zu werden. Die Hoffnung auf eine bessere Verhandlungsmacht durch eine höhere Arbeitsnachfrage könne nur erfüllt werden, wenn flankierend deutliche Fortschritte hin zur Geschlechtergerechtigkeit sowohl im Arbeitsleben als auch in der Partnerschaft erzielt würden. Dazu gelte es, tradierte Rollenbilder zu überwinden. Hierbei sei es entscheidend, dass sich auch die Männer in ihrem alltäglichen Leben mehr für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten.
Simone Menne berichtete aus ihrer praktischen Erfahrung, dass tradierte soziale Normen und Einstellungen noch immer hinderlich beim Karriereaufstieg seien. Viele Frauen seien dahingehend sozialisiert, dass sie den Wettbewerb scheuten. Hinderlich für die Karrierechancen von Müttern sei zudem die „Präsenzkultur“, die immer noch in vielen deutschen Unternehmen ausgeprägt sei. Wenn Vorgesetzte in ihrem Arbeitsalltag jedoch eine klare Trennung zwischen Arbeits- und Familienzeit vorlebten, könnten sie durch ihre Vorbildfunktion den Kulturwandel in der Arbeitswelt fördern. In Ländern wie Schweden, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen, gehört dies schon lange zur gängigen Arbeitskultur.
„Unternehmen sollten Frauen explizit fördern und ihre Sichtbarkeit steigern. Quoten bewirken etwas.“
Katharina Wrohlich stimmte der Grunddiagnose zu, nach der die Kultur wesentlich zu den strukturell schwachen Verdienstchancen von Müttern beiträgt. Studien zeigten, dass zwar die gesellschaftliche Akzeptanz der Müttererwerbstätigkeit gestiegen sei, aber die Teilzeitarbeit immer noch präferiert würde. Damit herrscht in vielen Familien weiterhin das „Zuverdiener-Modell“ vor und seit der Wiedervereinigung haben sich die ostdeutschen Bundesländer diesem traditionell westdeutschen Modell angenähert. Solange sich bei der Care Arbeit nichts strukturell ändere, werde die Lohnlücke nicht kleiner, denn: „Karriere macht man nicht in Teilzeit.“ Aus ihrer Forschung konnte sie berichten, dass sowohl staatliche Angebote der Kinderbetreuung als auch Quoten für Vorstände wirkungsvolle Maßnahmen darstellen, um den Gender Pay Gap zu schmälern.
„Individuelle Entscheidungen finden nicht im luftleeren Raum statt.“
Letztlich, so waren sich die Expertinnen einig, bedürfe es weiterer staatlicher Maßnahmen zur Förderung einer höheren Frauenerwerbstätigkeit und eines gesellschaftlichen Wandels hin zum Abbau geschlechtsspezifischer Stereotypen, damit der Fachkräftemangel langfristig tatsächlich zu einer Verringerung der Einkommensunterschiede führen kann – und das hoffentlich nicht erst nach einem weiteren Jahrhundert langsamer Fortschritte.