NEUES LEITMOTIV
Forum-Newsletter: Comeback der Glaubensökonomie? / Short Cuts mit Wolfgang Muenchau und Mark Blyth
Aus unserer Forum New Economy Newsletter-Reihe
VON
THOMAS FRICKEVERÖFFENTLICHT
15. AUGUST 2025LESEDAUER
2 MIN.
die Entwicklung hat etwas Befremdliches: in Wirtschaftszeitungen werden gleich gruppiert neue Kolumnisten benannt, die Wirtschaftsministerin tauscht ihre international anerkannte Chefökonomin gegen einen Neuen aus. Nicht weil es, sagen wir, neue Erkenntnisse und Trends in der Forschung gibt – und die alten nicht mehr dem modernen Stand der Wissenschaft entsprechen. Die Neuen werden gelobt und ihre Ernennung damit begründet, dass sie „stärker marktwirtschaftlich“ denken – was eine in Deutschland lange eingeübte Marotte ist, Wissenschaftlichkeit mit der vermeintlich richtigen (eigenen) Gesinnung zu vermengen, die Sache aber nicht besser macht.
Natürlich hat jede Regierung ihre präferierten Experten, weil jede Wirtschaftspolitik immer auch Werturteile beinhaltet – und es keine einfache Wahrheit in der Ökonomie gibt. Nur: die Qualität wirtschaftspolitischer Beratung als umso besser einzustufen, je mehr sie auf freie Märkte setzt, hat 2025 etwas bizarr Antiquiertes. Die Wahl einer konservativ geführten Regierung macht ja nicht ungeschehen, dass sich allzu freie Märkte in bestimmten Bereichen als gefährlich erwiesen haben: dass deregulierte Arbeitsmärkte zu verfestigten Niedriglohnsektoren führen; eine wilde Globalisierung zu viele Verlierer erzeugt, die jetzt an der Demokratie zweifeln; eine marktwirtschaftliche Klimapolitik allein nicht zum Ziel führt; oder der freie globale Handel enorm viele Ungleichgewichte und Abhängigkeiten mit sich gebracht hat, die gerade ein Land wie Deutschland jetzt gefährlich erpressbar macht.
All das ist inzwischen zunehmend gut erforscht und unter Wissenschaftlern jenseits der schrillen Schwarz-Weiß-Ökonomie Konsens. Da geht es 2025 nicht mehr darum, gegen alle Empirie zu behaupten, dass der Markt immer besser ist. Sondern darum, wie genau sich die Rollen von Markt und Staat in einem geläuterten Kapitalismus austarieren lassen – um gezielteren Einsatz marktwirtschaftlicher Kräfte dort, wo es unbestritten gut ist; und darum herauszufinden, wie genau Regierungen vorausschauende Industrie- und Klimapolitik machen, ohne die Fehler alter Bürokratie zu machen. Da kann die Antwort mal „mehr Markt“, oft aber auch „mehr Gegensteuern“ heißen. Hier immer nur eine Antwort zu erwarten, ist grotesk – und für Land und Leute auch gefährlich.
Wohin blindes Vertrauen ins Marktwirtschaftliche führen kann, lässt sich am aktuellen Kriseln der deutschen Exportwirtschaft beobachten. Dass beim Handeln mit dem Rest der Welt über Jahre immer wieder enorme Exportüberschüsse herauskamen, galt nach ordoliberal geprägtem Verständnis als schlichtes Ergebnis der freien Marktkräfte. Motto: die Deutschen sind halt gut. Dass solche Überschüsse selbst nach marktliberalen Modellen auf Dauer nicht tragbar sind, geriet darüber außer acht. Jetzt erledigt die Sache nicht mehr der Markt, sondern Donald Trump, der den Ausgleich über (asymmetrische) Zoll-Abkommen erzwingen will, die für Deutschland und seine Wirtschaft teuer zu werden drohen.
Über die Folgen des deutschen Hangs zum Exportüberschuss sprechen wir am Montag mit Wolfgang Muenchau – in unserem New Economy Short Cut „Vom Exportwunder in die Krise“. Der frühere FT-Kolumnist stellt die Analyse aus seinem gerade auf Deutsch erschienen Buch „Kaputt“ vor. Kommentiert von Sander Tordoir, Chefökonom des Center for European Reform – am Montag, 18. August, um 16 Uhr.
Zum Vormerken: am 27. August ab 16 Uhr folgt ein Short Cut mit Mark Blyth zu seinem kürzlich erschienenen Buch „Inflation – A Guide for Users and Losers“. Ähnliches Phänomen: auch hier haben diejenigen daneben gelegen, die auf die alte Lehre gezählt haben. More to come.
Ein schönes Wochenende,
Thomas Fricke
Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.