CORONA-KRISE
Eine Maßnahme reicht nicht – Vorschläge zur Krisenbewältigung in der EU
Wie lautet die geschlossene Antwort der EU auf die Corona-Krise. Seit Tagen wird über die Vorzüge des ESM oder von Euro-Bonds diskutiert. Dabei besteht mittlerweile Einigkeit, dass eine einzelne Maßnahme nicht ausreichen wird.
VON
THORE BECKMANNVERÖFFENTLICHT
7. APRIL 2020LESEDAUER
5 MINDie EU braucht eine solidarische wirtschaftspolitische Antwort auf die Corona-Krise. Was grundsätzlich mittlerweile offensichtlich ist, beinhaltet in der Ausgestaltung jedoch noch einige Fragezeichen. Nachdem in den vergangenen Tagen und Wochen in der Ökonomie-Szene viel über das für und wider von Euro- bzw. Corona-Bonds und die negative Konnotation des ESM diskutiert wurde, treffen sich am Dienstag die Finanzminister der EU und müssen zumindest irgendeine Form von Entscheidung treffen. Könnte es jedoch sein, dass es gar kein entweder oder sein muss? Zahlreiche ÖkonomInnen argumentieren nun, dass es mit einer Maßnahme nicht getan ist und dass es einen guten Policy-Mix braucht.
Tom Krebs (Uni Mannheim) argumentiert bei Makronom (ESM oder Coronabaonds?) beispielsweise, dass „weder Euro-Bonds noch ESM-Kredite eine umfassende – und ausreichende – wirtschaftspolitische Antwort auf die Corona-Krise sind.“ Die Unterschiede zwischen dem ESM-Krediten und Euro-Bonds sieht er ohnehin in einem technischen Detail, welches mit den Zinszahlungen für die Kredite zusammenhängt. Krebs argumentiert, dass die Seniorität der Corona-Anleihen nachrangig wäre, während ESM-Kredite üblicherweise einen vorrangigen Status haben und damit noch vor den Zinszahlungen auf die üblichen Staatsschulden bedient werden müssen.
Im Falle einer Staatsschuldenkrise würden die Corona Bonds daher erst getilgt werden, nachdem die nationalen Staatsschulden bedient wurden.
Dies würden die Finanzmärkte wohl einpreisen, weshalb der Zins somit höher liegen könnte als bei ESM Krediten mit gelockerten Konditionen, wie sie Krebs vorschweben. In diesem Fall wären alle beteiligten europäischen Länder letztendlich schlechter gestellt, als mit einer Lockerung der Konditionalität des ESM. Während die Finanzierungsfrage die unmittelbare Krisensituation derzeit betrifft, befasst sich neben Krebs auch Patrick Graichen (Agora Energiewende) in einem Gastbeitrag in Die Zeit (Investieren für den Tag X) mit einem geeigneten Investitionsprogramm für einen Weg aus der Krise.
Graichen schlägt ein 100 Milliarden Euro schweres Programm für Deutschland vor, was an mehreren Ecken greifen soll. Er begrüßt dabei den schon vorhandenen Green New Deal der EU Kommission als starken Rahmen, den es jetzt gilt auszufüllen. So fordert Graichen beispielsweise eine 10 Milliarden Euro starke Subventionierung der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie, um bis 2050 die CO2-Neutralität dieser Schlüsselsektoren gewährleisten zu können. Eine Bevorzugung bei staatlichen Projekten sollte dabei die Langfristigkeit dieser neuen Technologien sichern.
Weiteres Potenzial sieht Graichen in einem Eigenkapitalfonds für Stadtwerke, um die dezentrale Energiewende voranzutreiben. Auch in der Gebäudesanierung sieht Agora Energiewende enorme Potenziale, in dem man durch staatliche Förderung die seriellen Sanierungsmöglichkeiten ausbaut. Neben einer 5 Milliarden Euro schweren Förderung von Wärmepumpen um eine Million Ölheizungen zu ersetzen, nimmt Patrick Graichen außerdem Bezug auf die von BDI und DGB beauftrage Studie, die einen 450 Milliarden Euro Investitionsbedarf des Staates in den nächsten 10 Jahren sieht.
Graichen verweist dabei auf den New Deal von Franklin D. Roosevelt, der in drei Phasen unterteilt war: „relief – Maßnahmen zur Nothilfe –, recovery – Programme zur Belebung der Wirtschaft – und reform – tiefgreifende Strukturreformen.“
Alle drei Phasen müssten demnach auch jetzt schon mitgedacht werden.
Dass es mit nur einer Maßnahme nicht getan ist, sieht auch ein prominentes und internationales Kollektiv aus ÖkonomInnen (Bénassy-Quéré et al. 2020: COVID-19 economic crisis: Europe needs more than one instrument). Sie identifizieren drei grundlegende Aspekte, die es anzugehen gilt: Dass die Kosten der Krise auf alle europäischen Ländern verteilt werden, dass allen Mitgliedsstaaten geholfen wird und dass einen wirtschaftspolitischen Plan geben muss, um die EU aus der Krise zu führen.
Als erstes schlagen sie einen COVID-Fonds vor, der im Gegensatz zu den schon vor Jahren diskutierten Euro-Bonds nur die Bewältigung der derzeitigen Krise als Ziel hat. Finanziert würde der Fonds zum Beispiel auf Grundlage des BIP-Anteils der Mitgliedstaaten. Sie schlagen vor, einen solchen Fonds auf 10 Jahre anzulegen. Neben umfassenden Kredit-Garantien der European Investment Bank (EIB), wie sie auf nationaler Ebene etwa in Deutschland von der KfW getätigt werden, sprechen sich die ÖkonomInnen außerdem für besondere Kredite innerhalb des ESM aus.
Neben dem schon am 2. April beschlossenen SURE-Programm, welches die Risiken der Arbeitslosigkeit abfedern soll, sollen diese spezifischen ESM-Kredite einheitlichere Zinskosten für die Mitgliedstaaten gewähren. Außerdem soll die übliche Konditionalität der ESM-Kredite gelockert werden und die Laufzeit auf 30 Jahre verlängert werden. Während die ÖkonomInnen einsehen, dass es langfristig ein neues Finanzinstrument wie einen Bond geben muss, sehen sie die Vorteile in ihren Vorschlägen vor allem darin, dass sie relativ leicht zu implementieren seien. Dadurch dass die Krise außerdem viele Bereiche beeinflusst, hat ein Maßnahmen-Mix eine höhere Wahrscheinlichkeit an mehreren entscheidenden Stellen greifen zu können.
Der Vorschlag von Grund, Odendahl und Guttenberg (A Pandemic Solidarity Instrument for the EU) greift an ähnlichen Stellen und ist auch auf mehrere Maßnahmen ausgerichtet, die auf europäischer Ebene greifen müssen. Während die EIB bislang das Ziel hatte 200 Milliarden Euro an Liquiditätshilfen bereitzustellen, fordern sie einen Umfang von 1,8 Billionen Euro. 900 Milliarden sollten dabei von der EIB (gedeckt durch 120 Milliarden Garantien der EU) und die andere Hälfte von den nationalen Regierungen bereitgestellt werden. Außerdem fordern sie eine europäische Einführung des deutschen Kurzarbeitssystems. Zusammen mit der Finanzierung von Arbeitslosengeld sehen sie hier einen Bedarf von 100 Milliarden Euro.
Auf fiskalpolitischer Ebene muss der Löwenanteil der Investitionen getätigt werden.
Die Ökonomen sehen einen Bedarf von 2% des EU BIPs, was zu 65% von der EU finanziert werden sollte. Die 200 Milliarden Euro zusätzlich, die sich daraus ergeben, bedeuten, dass die EU insgesamt 440 Milliarden Euro zur Verfügung stellen muss.
Grund et al. fordern einen „Pandemic Solidarity Bond“ mit einer Laufzeit von 20 bis 50 Jahren. Dieser sollte von allen Mitgleidstaaten gesichert sein und in der Ausgestaltung der „European Financial Stability Facility“ (EFSF) folgen. Die EU sollt jedoch der Herausgeber des Bonds sein und die Forderungen bedienen. Dies würde der EU Handlungsmacht verschaffen und dazu führen, dass die dort hinterlegten Schulden nicht gegen die einzelnen Staatsschulden gerechnet werden. Die Finanzierung der Bonds sollte wie bei Bénassy-Quéré im Verhältnis zum BIP der Mitgliedstaaten berechnet werden.