Eine neue Generation Bundesbank?
29.11.2021
12 Uhr
ORT
Zoom
SPRACHE
Deutsch
Verliert die Bundesbank mit Jens Weidmann ihre stabilitätspolitische Tradition – und ist das schlecht für die Deutschen? Oder ist der anstehende Wechsel an der Spitze der Bundesbank eine Gelegenheit, die Notenbank neu aufzustellen, ihre Aufgaben in Zeiten von Klimawandel und Finanzglobalisierung womöglich neu zu definieren? Um diese Fragen ging es in unserem New Economy Short Cut, den wir in Kooperation mit der Initiative Transformative Responses am 29. November 2021 veranstaltet haben.
Berenberg-Chefökonom Schmieding hat den Kurs der Europäischen Zentralbank in den vergangenen Jahren oft gegen die Kritik der Bundesbank-Traditionalisten verteidigt. Politologe und Notenbank-Experte Benjamin Braun befasst sich wissenschaftlich mit der Frage, was eine neue Generation Notenbanken in Zeiten immer neuer Finanzkrisen, drohender Klimaschocks und auseinandergedrifteter Vermögen konzeptionell bräuchte – unter anderem als Teil eines Aufrufes für ein neues Zentralbankmandat mit Transformative Responses. Was also bräuchte der nächste Bundesbankchef, der in wenigen Tagen bekannt werden dürfte?
Holger Schmieding betonte, dass die Bundesbank durch ihre stabilitätsorientierte Politik bei der deutschen Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen genieße. Er empfiehlt daher keinen grundsätzlichen Kurswechsel, sondern eher eine Akzentverschiebung in den Aufgaben und ein stärkerer Fokus auf Themen wie Klimawandel und Finanzstabilität. Er wies darauf hin, dass die Bundesbank, die sich auf EU-Ebene als Verfechterin der Preisstabilität etabliert hat, in der Vergangenheit in der Praxis durchaus von ihrer „reinen Lehre“ abgewichen ist.
Die Bundesbank sollte von einer Person geleitet werden, die in der Lage ist, eine „Brücke zu schlagen“ zwischen der deutschen Stabilitätskultur und der Einsicht in die Notwendigkeit einer modernen EZB, die als „Lender of Last Resort“ die Stabilität der Finanzmärkte sichert. Hierbei sei es essenziell, dass die Bundesbank der deutschen Öffentlichkeit die EZB-Strategie noch besser vermittele.
Nach Auffassung von Benjamin Braun sollte die Bank nach Weidmann ein „Rebalancing“ vornehmen, weg von der „eisernen Stabilitätspolitik“ hin zu einem Wachstumsmodell, das soziale und ökologische Nachhaltigkeit mitdenkt. Seit der Euro-Einführung habe Deutschland eher auf ein exportorientiertes Wachstumsmodell, unterstützt durch geringe Lohnstückkosten, gesetzt, was zu einem kontinuierlich steigenden Außenhandelsüberschuss geführt habe. Aufgrund der enormen Ausgabenbedarfe für die Dekarbonisierung der Wirtschaft sei es jetzt angebracht, dass sich die Politik stärker in der Diskussion um die geldpolitischen Prioritäten beteilige.
In der Frage der Unabhängigkeit von Zentralbanken wies Holger Schmieding auf die Unterschiede zwischen der Bank of England und der Bundesbank hin. Benjamin Braun ergänzte, dass viele Zentralbanken dem Modell der Bundesbank gefolgt seien. Die Delegation von politischer Macht an unabhängige Zentralbanken sollte dem Problem der Zeitinkonsistenz politischer Entscheidungsträger entgegenwirken, die sich zu sehr an kurzfristigen Zielen orientieren. Seit der Finanzkrise haben die Aufgaben der Zentralbanken jedoch weltweit zugenommen, zum Beispiel im Bereich der Finanzmarktaufsicht und -regulierung. Zu einer besseren Legitimation seien daher stärkere parlamentarische Überprüfungsmechanismen nötig. Existierende Fora wie etwa der monetäre Dialog im EU-Parlament seien im Vergleich zu dessen US-amerikanischen Pendant eher „zahnlos“.