NEUES LEITMOTIV
Forum-Schwerpunkt in Intereconomics: Policy Innovation for a New World Order
Wie lässt sich das Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen? Neue Beiträge aus dem Berlin Summit 2025 zeigen in Intereconomics, wie ein neues ökonomisches Denken Märkte, Staat und Gesellschaft ins Gleichgewicht bringen könnte.
VON
FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
16. OKTOBER 2025
Wie lässt sich das Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen – in einer Zeit, in der alte Gewissheiten erodieren und populistische Antworten verführerisch einfach klingen? Diese Frage stand im Zentrum des zweiten Berlin Summit 2025 des Forum New Economy unter dem Titel “Winning Back the Future”. Nun erscheinen die zentralen Ergebnisse und weiterführenden Beiträge aus dem Summit in der aktuellen Ausgabe von Intereconomics, Vol. 60, No. 5 (2025) – unter dem thematischen Schwerpunkt „Policy Innovation for a New World Order“.
Im begleitenden Editorial “Winning Back the Future – Preparing for a Comeback of Democracy” skizziert Thomas Fricke, warum Demokratien neue ökonomische Leitideen brauchen, um den wachsenden Vertrauensverlust zu überwinden. Nur ein neues Paradigma, das Märkte und Staat wieder in Balance bringt, kann Populisten das Feld nehmen – mit aktiver Industriepolitik, sozial gerechter Klimapolitik und gezielter Investition in benachteiligte Regionen:
Winning Back the Future – Preparing for a Comeback of Democracy
Thomas Fricke
Wo soll das alles enden – und wohin führt es? Seit geraumer Zeit befinden sich Regierungen weltweit im permanenten Krisenmodus, während Demokratien zunehmend unter Druck geraten – durch Populisten und Autokraten. Werden die Populisten sich am Ende selbst entzaubern, weil sie ihre großen Versprechen nicht halten können, wie einst die Brexiteers? Gelingt es Regierungen in Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, rechte Bewegungen durch eine an deren Rhetorik angelehnte Migrationspolitik einzudämmen? Oder lässt sich verlorenes Vertrauen durch klassische marktwirtschaftlich-liberale Rezepte zurückgewinnen – über mehr Wachstum und weniger Staat?
Es spricht wenig dafür. Trotz des offensichtlichen Scheiterns des Brexit erleben rechte Populisten in Großbritannien erneut enormen Aufwind. Auch hat die härtere Migrationspolitik in Deutschland nicht verhindert, dass die AfD inzwischen in Umfragen stärkste Partei ist.
Die Antwort liegt im größeren Zusammenhang. Eine zunehmend empirisch gestützte Lesart besagt: Das bröckelnde Vertrauen in die Demokratie ist auch das Ergebnis einer gescheiterten marktradikalen Globalisierung, die viele Menschen hilflos und wütend zurückgelassen hat. Mangels überzeugender Ideen, wie das Verhältnis von Markt und Staat neu zu definieren ist, gibt es – wie so oft in der Geschichte – ein gefährliches Vakuum, das Populisten mit einfachen, zunehmend autoritären Antworten füllen.
Wenn diese Diagnose stimmt, wird die erfolgreiche Suche nach einem neuen, tragfähigeren Paradigma entscheidend sein, um den Vormarsch der Populisten zu stoppen – und um demokratische Regierungen wieder handlungsfähig und glaubwürdig zu machen. Es wäre also klug, bereits jetzt – jenseits des akuten Krisenmanagements in Handelskonflikten und Rückschlägen in der Klimapolitik – darüber nachzudenken, wie so ein neues Leitbild aussehen könnte, das wir danach brauchen.
Es geht darum zu zeigen, dass es bessere Politik gibt – eine Politik, die das weitverbreitete Gefühl der Ohnmacht ernst nimmt und Lösungen bietet in einer Welt, die gezeichnet ist von Ungleichheit, der Macht von Tech-Oligarchen, der sich verschärfenden Klimakrise, einer entglittenen Globalisierung und oftmals ineffizientem staatlichen Handeln.
Es geht um eine Politik, die über den naiven Glauben an die Selbstheilungskräfte globaler Märkte ebenso hinausgeht wie über die alte Vorstellung bürokratischer Staatssteuerung. Genau das stand im Mittelpunkt des zweiten Berlin Summit im Juni 2025: Winning Back the Future.
Dass Populisten vom Frust jener profitieren, die sich in abgehängten Regionen – vom amerikanischen Rust Belt bis zu strukturschwachen Gegenden Europas – zurückgelassen fühlen, ist gut dokumentiert. Kommt dieser Frust aus einem Gefühl des Kontrollverlusts, dann kann jede Politik, die wieder Kontrolle erlebbar macht, Vertrauen zurückgewinnen. Wie das aussehen könnte, lässt sich in vielem erahnen – und es gibt bereits erste Lehren.
Das zeigt sich etwa an einer neuen Industriepolitik, wie sie in den USA oder Deutschland in den vergangenen Jahren erprobt worden ist. Durch bewusste und durchdachte Förderung bestimmter Industrien lässt sich Kontrolle zurückgewinnen – auch wenn ihre praktische Umsetzung noch am Anfang steht, nach Jahrzehnten, in denen aktive Industriepolitik als Tabu galt. Inzwischen wächst der Konsens, dass Regierungen gezielt eingreifen müssen, wenn es gilt, gefährliche nationale Abhängigkeiten bei strategisch wichtigen Waren zu vermeiden oder Infrastruktur für erneuerbare Energien zu schaffen, wo dies nötig ist, damit sich Märkte überhaupt entwickeln können. Die Erfahrungen damit lassen zugleich vermuten, dass solche Veränderungen nur gelingen, wenn sie nicht von oben verordnet, sondern regional gestaltet werden und breite gesellschaftliche Unterstützung finden.
Eine der größten Herausforderungen wird darin bestehen, internationale Standards für diese neue Industriepolitik zu entwickeln – um zu verhindern, dass das Bestreben wie derzeit in nationalistische Rivalität und neue Zollkonflikte mündet. Das Ziel sollte sein, ein System kooperativer globaler Regeln zu schaffen, das nationale oder transnationale Industriepolitik erlaubt, wo sie legitim und notwendig ist.
Das wäre womöglich sogar eine Voraussetzung dafür, den Freihandel in all jenen Bereichen zu retten, in denen Märkte tatsächlich zum Wohl der Vielen funktionieren.
Auch in der Klimapolitik zeigt sich: Einseitig auf Preissignale und CO₂-Bepreisung zu setzen, ist hochgradig ineffektiv. Solange saubere Alternativen fehlen oder zu teuer sind, stoßen solche Maßnahmen auf viel zu hohen Widerstand. Die US-Regierung hat mit dem Inflation Reduction Act einen anderen Weg beschritten – mit positiven Anreizen und durch gezielte Investitionen. Eine moderne Klimapolitik wird auf genau diese Mischung setzen: Preissignale nur dort, wo sie Verhaltensänderungen wirklich bewirken, dafür zumindest in einer ersten Zeit starke positive Anreize für Investitionen und Konsumenten.
Ohne eine neue, realistische Migrationspolitik wird es demokratischen Regierungen ebenfalls nicht gelingen. Wer die Ängste in Teilen der Bevölkerung ernst nimmt – von Wohnungsknappheit bis zu Konkurrenz am Arbeitsmarkt –, muss dort gezielt investieren, wo Migration besonders spürbar ist, statt nur die Parolen der Rechten zu kopieren.
All diese neuen Politiken stehen erst am Anfang. Was es braucht, ist ein neues Verständnis vom Verhältnis zwischen Markt und Staat – nach Jahrzehnten eines viel zu simplen Marktdogmas. Nur ohne die Fehler eines zu starren Staatsverständnisses zu wiederholen.
Als ein erster Versuch, dieses neue Denken umzusetzen, kann das gelten, was US-Präsident Joe Biden mit jenem Inflation Reduction Act versucht hat, der bewusst in benachteiligte Regionen investierte. Dass sich das bislang kaum in Wählerstimmen übersetzt hat, hat mit der Inflationswelle nach 2022 zu tun – aber vielleicht auch mit fehlender Zeit oder Kommunikation. Wer Populisten zurückdrängen will, braucht mehr als gute Politik. Menschen müssen auch verstehen, wie diese Politik ihnen konkret nützt.
Die Geschichte wiederholt sich nicht – aber es lässt sich das eine oder andere lernen. Nachdem das liberale Zeitalter des 19. Jahrhunderts mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kollabiert war, folgten Jahre des Reparierens – durch die Schaffung eines geregelten Völkerbunds oder soziale Gesetze und die Verkürzung der Arbeitszeit. Doch es reichte nicht, um zerrissene Gesellschaften wieder zu einen. Erst mit dem New Deal und der Nachkriegsordnung, die in Bretton Woods einige Ausgangspunkte fand, entstand ein neues, sozial reguliertes Paradigma.
Wenn sich Geschichte wiederholt, dann vielleicht darin, dass wir seit der Finanzkrise 2008 in einer Übergangsphase leben – mit stärker regulierten Finanzmärkten, einer Rückkehr der Industriepolitik und neuen Ansätzen wie Bidenomics. Vielleicht braucht es eine zweite Welle, damit daraus ein wirklich neues Paradigma entsteht, das Vertrauen in Politik und Demokratie wiederherstellt.
Hoffen wir, dass sich Geschichte nicht zu sehr wiederholt. Es wird darauf ankommen, das nächste Paradigma rechtzeitig zu entwickeln – bevor jene gewinnen, die mit ihren einfachen Antworten immer schneller sind.
Daran knüpfen die Beiträge des Forum-Schwerpunkts in Intereconomics an:
-
Towards the Next World Order – Lessons from History von Adam Tooze
-
Beyond Trade Wars and Economic Nationalism – Towards a Cooperative Global Governance von David Kläffing und Thomas Fricke
-
A Migration Bargain von Ian Goldin
-
It Should Be About the Economy – Are Voters Stupid? von Robert Gold
-
Beyond the Fixation on Carbon Pricing: A New Framework for Designing Climate Policy von Isabella Wedl und Eric Lonergan