NEUES LEITMOTIV

Forum-Newsletter: Die Ökonomie des Bürgergelds - ReLive zum Short Cut mit Enzo Weber und OECD-Expertin Anne Lauringson

Aus unserer Forum New Economy Newsletter-Reihe

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

26. SEPTEMBER 2025

Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,

seit Wochen bekommen die Deutschen stoisch nahegelegt, dass jetzt „Reformen“ kommen, ein Herbst der Reformen; „unausweichlich“, wie der Kanzler sagt. Und dass es irgendwie „viele“ sein müssen. Nur, was heißt das? Und welche der großen Probleme unserer Zeit genau würde, sagen wir, ein Abbau von Leistungen beim Bürgergeld lösen? Hier beginnt’s oft esoterisch zu werden. Natürlich ist es unfair, wenn Leute sich weigern, Arbeit aufzunehmen, und dafür weiter Geld beziehen. Nur wie viele sind das? Und wie viele Jobs würde es durch ein Kürzen von Bürgergeld wirklich mehr geben?

In unserem New Economy Short Cut² haben wir diese Woche versucht, jenseits der wirren Talkshow-Sprüche herauszufinden, was die moderne Forschung sagt – mit Enzo Weber, einem führenden deutschen Arbeitsmarktexperten, und mit Anne Lauringson von der OECD. Tenor: Wer wirklich viele Langzeitarbeitslose wieder in und zur Arbeit bringen will, wird mit dem Kürzen von Leistungen nicht weit kommen. Weil die meisten Betroffenen in irgendeiner Form in schwieriger Lebenslage sind – entweder gesundheitlich oder weil die sozialen Umstände eine Arbeitsaufnahme schier unmöglich machen. Die werden auch bei noch so starker Kürzung keine Arbeit annehmen können.

Das gilt für Deutschland wie OECD-weit, so Lauringson. Die Gefahr sei bei angedrohter Kürzung von Mitteln dann groß, dass die Menschen sich ganz zurückzögen, aus der Grundsicherung rausgehen, so Weber: „Dann sind sie auch weg aus der Vermittlung, aus der Qualifikation, aus der Betreuung und aus der Beratung.“ Abgesehen davon, dass Kürzungen ihre Kehrseiten haben – und Leute unter dem Druck Stellen unter ihrem Niveau annehmen. Was auch ökonomisch und fürs Land nicht sinnvoll ist, weil die Betreffenden im Zweifel dann dort fehlen, wo qualifiziertere Leute auf Dauer gebraucht werden.

Genau hier liegt nach Stand der Forschung auch die Lösung: Um besagte Hindernisse zu beheben, hat es sich als effektiver erwiesen, die Menschen individuell zu betreuen, so Lauringson – und im Zweifel erst einmal das soziale Umfeld zu bessern, indem bei Alleinerziehenden die Betreuung der Kinder gesichert wird; oder soziale Kompetenzen wieder erlernt werden, die nach langer Arbeitslosigkeit verloren gegangen sind. Bevor sie in Weiterbildung gehen können – und dann auch einen Job annehmen.

Nichts für Sprücheklopfer und Neidreflexe, klar. Nur muss man sich andernfalls nicht wundern, wenn nach solchen Fatamorgana-Reformen die Probleme nicht weg sind. „Wir müssen die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen“, so Weber – und „alle Register ziehen“. Dazu können Korrekturen am Bürgergeld zählen. Dazu gehört dann nur auch noch mehr. Am Ende entstünden bei einer positiven Stimmung und in einer gut laufenden Wirtschaft ohnehin fast automatisch sehr viel mehr Jobs als durch noch so viel Druck auf Bürgergeldempfänger, so Weber.

Vielleicht ist es zur Erzeugung so einer positiven Dynamik ja auch gar nicht so gut, den Deutschen tagtäglich einzureden, dass jetzt ganz viel schmerzhaft reformiert werden muss – und dass alles unbedingt wehtun muss. Ohne dass belegbar ist, ob das überhaupt so viel bringt. Deutsche Maso-Ökonomie.

Wer den ganzen Short Cut² in Kooperation mit der OECD nachsehen will – zum ReLive geht es hier, dort abzurufen sind auch die Präsentationen.

Ein schönes Wochenende,

Thomas Fricke

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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