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The Berlin Summit 2025: Addressing the German challenge – How to overcome the China shock and others

Chinas Aufstieg zur Industriegroßmacht ist längst keine Geschichte billiger Exporte mehr – er stellt heute eine strategische Herausforderung für Europas wirtschaftliches Rückgrat dar. In diesem Panel des Berlin Summit 2025 diskutierten Experten, was unter dem „Second China Shock“ zu verstehen ist.

VON

GERRIT TER HORST

VERÖFFENTLICHT

18. JUNI 2025

Auf dem Berlin Summit 2025 diskutierte ein hochkarätig besetztes Panel unter der Moderation von Felix Lee über die wirtschaftspolitischen Folgen des sogenannten „zweiten China-Schocks“ – mit besonderem Fokus auf Deutschland und Europa. Während der erste China-Schock zu Beginn der 2000er Jahre vor allem die USA traf, durch den plötzlichen Anstieg chinesischer Exporte nach dem WTO-Beitritt, geht der zweite Schock tiefer: Er betrifft nicht mehr nur Niedriglohnindustrien, sondern nun auch Hochtechnologiesektoren wie die Automobilindustrie, den Maschinenbau und die Batterieproduktion – also das industrielle Rückgrat Deutschlands.

Dalia Marin zeigte in ihrer Präsentation, wie sich Deutschlands Handelsbeziehungen mit China seit 2020 drastisch verschoben haben: Die Importe aus China sind um 30 % gestiegen, während die Exporte – insbesondere im Automobil- und Maschinenbausektor – stark zurückgegangen sind. Deutschland hat seine Rolle als Nettoexporteur in diesen Bereichen verloren. Ursache sei die aggressive Industriepolitik Chinas, gestützt durch massive Subventionen, Skaleneffekte und gezieltes Lernen in Schlüsseltechnologien wie Batterien. Marin schlägt vor, Europas Strategie müsse chinesische Praktiken wie verpflichtende Joint Ventures kopieren, um Technologietransfer zu sichern – und chinesische Marktzugänge an technologische Zusammenarbeit knüpfen.

Brad Setser gab einen Überblick über den ersten China-Schock und betonte die Parallelen: Auch damals habe die Politik – besonders in den USA – die sozialen Verwerfungen und die nötigen Schutzmaßnahmen unterschätzt. In Bezug auf Deutschland riet er, sich nicht an vergangene Exporterfolge zu klammern, sondern aktiv Industriepolitik zu betreiben. Seine drei zentralen Empfehlungen: nicht rückwärtsgewandt denken, gezielte industrielle Förderung betreiben und sich vom naiven Glauben an Marktkräfte befreien. Besonders betonte er: Es reiche nicht, Profite zu erzielen – es brauche eine starke industrielle Basis in Europa.

Servaas Storm verwies darauf, dass Länder wie Italien bereits beim ersten China-Schock stark litten – während sich Deutschland damals noch als Gewinner fühlte. Nun seien auch die deutschen Exportmärkte unter Druck. Der Fehler der Vergangenheit, Südeuropa als wirtschaftlich unvernünftig abzuwerten, falle jetzt auf Deutschland zurück. Er fordert eine Renaissance strategischer Planung, stärkere öffentliche Investitionen, Regulierung von Plattformunternehmen und die Wiederentdeckung fiskalischer Souveränität.

Margarita Russo ergänzte die Diskussion mit einer detaillierten Patent- und Innovationsanalyse im Automobilsektor. Sie zeigte, dass Deutschland in Bereichen wie Batterie- und Antriebstechnologie zwar noch führend sei – China jedoch im Bereich der Steuerungssysteme bereits qualitativ und quantitativ vorbeigezogen sei. Russo kritisierte, dass jahrzehntelange Präsenz deutscher Autobauer in China kaum zu wechselseitigem Lernen geführt habe. Nun fehle es nicht nur an Skalierungskompetenz, sondern auch an strategischem Weitblick in den Geschäftsmodellen großer europäischer Firmen.

Adam Tooze hob schließlich hervor, dass der zweite China-Schock nicht nur ein industrieller und technologischer, sondern auch ein ökologischer sei. Der rasante Emissionsanstieg Chinas in den 2000er Jahren stellte das internationale Klimaregime infrage – worauf China mit massiven Investitionen in Erneuerbare reagierte. Europa habe diese Entwicklung teils verschlafen und müsse nun aufholen.

In der abschließenden Fragerunde war man sich einig: Es mangelt in Europa nicht primär am Geld – sondern am politischen Willen, an Visionen und am Mut zu strategischer Koordination. Der Weg müsse über gezielte Industriepolitik, ein Umdenken in der Fiskalpolitik und europäische Kooperation führen. Der China-Schock sei nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance zur Neuorientierung.

Paneldiskussion

Interview mit Brad Setser

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