NEUES LEITMOTIV

Rückblick auf 2024 und ein erster Ausblick auf 2025

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

20. DEZEMBER 2024

Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen, 

wenn stimmt, dass Gesellschaften gemeinsame Leitmotive brauchen, war 2024 kein gutes Jahr. Oder zumindest endet es nicht gut. Dabei schien vieles von dem, was in der modernen Ökonomie zum Fortschritt der Erkenntnis zählt, selbst in Deutschland kürzlich noch als Leitmotiv in reale Politik einzuziehen. Dass es Industriepolitik braucht, wenn wir souverän bleiben wollen. Oder Vorgaben, damit die Autoindustrie weiß, wohin es geht. Oder dass Mindestlöhne gegen Machtmissbrauch helfen.

Jetzt ist in den USA Donald Trump gewählt – und bei uns Wahlkampf nach Ampel-Ende. Und schon scheint eine bizarre Retro-Welle loszugehen: einem argentinischen Präsidenten zu huldigen, der so tut, als hätte es kein Scheitern der Marktallmachts-Religion gegeben. Oder mal wieder zu sagen, die Deutschen müssten nur mehr arbeiten – als würde das irgendwas gegen Klimawandel oder aggressive chinesische Politik helfen. Und überhaupt mal wieder vorzugaukeln, es ginge besser, wenn der Staat nur nicht wäre. Das glaubt selbst Donald Trump nicht. Wer sonst soll die Zölle bestimmen.

Das scheinen vor allem auch die Menschen nicht zu glauben, wie die zweite Welle einer Umfrage vermuten lässt, deren Ergebnisse wir Anfang Januar veröffentlichen werden. Danach hat die Aversion der Deutschen gegen Staatsschulden längst nachgelassen – und Platz gemacht für eine differenziertere Sicht. Wenn es darum geht, in die Zukunft zu investieren, sollte der Staat auch Schulden aufnehmen. Sagt eine klare Mehrheit.

Was helfen marktwirtschaftliche Heilsversprechen gegen chinesische Konkurrenz, US-Protektionismus oder Klimawandel? Was Chinesen wie Amerikaner da machen, ist ja gerade das Gegenteil: Industriepolitik im Turbo. Da hilft es auch nicht, bei uns hier und da Bürokratie abzubauen. Was hilft es den Argentiniern, bald nicht mehr die Beamten zu haben, die dafür sorgen, Wirtschaft und Menschen die nötigen Bedingungen zu schaffen, um sich zu entwickeln. Was passiert, wenn man zu viel kürzt, ist derzeit ja eindrucksvoll in Deutschland zu beobachten.

Bei unserem Berlin Summit im Mai haben Dutzende weltweit führende Experten und Expertinnen zusammengestellt, was moderne Wirtschaftspolitik sein sollte – in der Berlin Declaration. Dazu zählt eine Industriepolitik, die etwa dafür sorgt, dass das Land nicht allzu abhängig von anderen wird. Und auch eine Klimapolitik, die radikal auf positive Anreize setzt, statt auf widersinnige Strafen und noch höhere Kosten für Verbraucher. Nur zwei Beispiele. Der Film zur Declaration in sieben Minuten – hier.

Die Frage ist nicht, ob es gut wäre, zu einem marktliberalen Dogma zurückzukehren. Die Frage ist eher, wie die neue Wirtschaftspolitik aussehen und funktionieren soll. Und ob das, was bislang vorgedacht wurde, ausreicht. Ob eine Klimapolitik nicht viel radikaler damit anfangen sollte, den Menschen positive Anreize zu setzen. Ob es einer ganz neuen Logik der Globalisierug für alle braucht – eine kooperative Variante für die Zeit nach Trump. Ob der Abbau des Reichtumsgefälles nicht viel mehr über ein Startkapital für alle gehen müsste. Und wie für Deutschland eine bessere Schuldenregel als die bisherige Schuldenbremse aussehen könnte.

All das steht auf der Agenda fürs neue Jahr – und für den zweiten Berlin Summit, den wir für Mitte Juni 2025 planen. Es spricht nach allem, was gegen Ende 2024 passiert ist, mehr denn je dafür, dass Populisten erst dann wieder verschwinden, wenn es gelingt, ein neues und überzeugendes Leitmotiv zu bieten, das gesellschaftlich zusammenhält.

Besten Dank Euch und Ihnen allen – und denen, die ihre Ideen eingebracht haben.

Wir wünschen besinnliche Festtage und einen guten Start in ein wichtiges neues Jahr!

Mit besten Grüßen

Thomas Fricke und das Forum Team

Anne Zweynert de Cadena, Xhulia Likaj, Maren Buchholtz, Valerie Kiel, Isabella Wedl, David Kläffling sowie alle, die uns unterstützen.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

ZUM THEMA NEUES LEITMOTIV

KNOWLEDGE BASE

Nach ein paar Jahrzehnten allzu naiven Marktglaubens brauchen wir dringend neue Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – und mehr: ein ganz neues Paradigma als Leitfaden. Wir sammeln alles zu den Leuten und der Community, die sich mit dieser großen Frage beschäftigen, sowie mit der historischen wie heutigen Wirkung von Paradigmen und Narrativen – ob in neuen Beiträgen, Auftritten, Büchern und Veranstaltungen.

ÜBERSICHT ARTIKEL