NEUES LEITMOTIV
Newsletter: Für jede Idee ein Ökonom? Vom Sinn des Erkenntnisfortschritts
Aus unserer Forum New Economy Newsletter Reihe
VON
THOMAS FRICKEVERÖFFENTLICHT
26. OKTOBER 2024LESEDAUER
4 MIN.Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,
ein Hinweis vorab: mehr zu unserem Symposium rund um den Ausgang der US-Wahlen am 19. November gibt es ein Stück weiter unten.
Ob Draghi oder Habeck – wenn Politiker etwas Größeres zur Weltenrettung vorschlagen, ist zu lesen, dass „Ökonomen“ das gut finden oder nicht. Oft auch, dass es welche gibt, die es gut finden – und andere schlecht. Was ein Stück weit in der Natur einer sozialen Wissenschaft wie der Ökonomie steckt, aber den Eindruck weckt, als sei am Ende willkürlich, wie man’s findet.
Klar, findet sich unter ein paar Tausend Ökonomiegelehrten zu fast jeder Position jemand, der sie medial lautstark vertritt: für oder gegen staatliche Investitionsprämien; für oder gegen Industriepolitik; für mehr oder eher weniger staatliche Schulden. Also egal? Nicht wirklich. Es gibt empirische Methoden, die Wirksamkeit etwa von Investitionsprämien abzuschätzen – wonach diese hilfreicher sind, als einfach nur Steuern zu senken. Oder die zeigen, dass sich das Hinterhersparen bei ausfallenden Steuereinnahmen oft als kontraproduktiv erweist. Stand der modernen Forschung.
Dazu kommen epochale Erkenntnisfortschritte: etliche Forscher wie Mariana Mazzucato oder die gerade gekürten Nobelpreisträger Daron Acemoglu und Simon Johnson haben akribisch dargelegt, wie über die Jahrhunderte fast jede große Technologie maßgeblich politisch gesteuert oder gewollt war. Was nicht belegt, dass das immer gut war, aber gegen Marktromantik spricht. Stoisch zu floskeln, dass der Staat noch nie ein guter Entscheider über Technologien war, ist angesichts solcher Erkenntnis befremdlich. Was das heißt, hat Simon Johnson im Gespräch mit Achim Wambach im New Economy Short Cut vor knapp einem Jahr erklärt (zum Nachsehen – hier).
Es müssen nicht immer alle Experten zustimmen. Siehe oben. Es spricht nur viel dafür, nach bestem Wissen und Gewissen so eine Art Common Sense zu entwickeln – um nicht immer wieder bei Null anzufangen, sich auf das „Wie“ zu konzentrieren und nicht ewig um das „Ob“ zu kreisen. Womit wir bei einem sehr deutschen Problem sind. In keinem anderen Land scheinen sich recht offenbar überholte ökonomische Erkenntnisse so wacker zu halten – ob dazu, dass Staatshaushalte um fast jeden Preis auszugleichen sind; oder, dass angeblich (nur) der freie Wettbewerb über den technologischen Fortschritt bestimmt. Eine teure Illusion: die gepredigte Technologieoffenheit erklärt zu einem Gutteil, warum die deutsche Autoindustrie heute bei der Elektromobilität abgehängt zu werden droht; und das Hinterhersparen des Finanzministers, warum die Wirtschaftsleistung im Land stagniert.
Was zu einem Zeitpunkt historisch die richtige Antwort ist oder zu sein scheint, wägt der frühere chilenische Finanzminister Andres Velasco in einem Kommentar zu jener Berlin Declaration ab, die genau das versucht: einen neuen Konsens zu identifizieren – als eine Art Nachfolge für den gescheiterten marktliberalen Washington Consensus. Ob zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer neuen Industriepolitik oder dem nötigen Abbau von Ungleichheit. Wie die Berliner Erklärung den Washington Consensus bereits abzulösen begonnen hat, dem widmete diese Woche der Deutschlandfunk einen 20-minütigen Hintergrund – zum Nachhören: hier.
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Was aus dem wachsenden neuen Konsens wird, wenn die Amerikaner und Amerikanerinnen am 5. November gewählt haben, werden wir zwei Wochen später auf besagtem Symposium zu den Konsequenzen der US-Wahl besprechen: am 19. November in Berlin-Mitte. Zugesagt haben dazu bereits Joe Kaeser, Simon Jäger und Cathryn Clüver-Ashbrook. Zugeschaltet werden Isabella Weber und Harold James. Vorgestellt werden an dem Nachmittag zudem Auswertungen von Populismusforscher Robert Gold dazu, ob und inwiefern der Inflation Reduction Act das Wahlverhalten zugunsten von Kamala Harris beeinflusst hat.
Und weil wir an dem Abend auch das 5-Jährige des Forums begehen wollen, gibt es exklusiv zudem neue Umfrageergebnisse dazu, wie sich seit 2019 in Deutschland der Wunsch nach neuen wirtschaftlichen Antworten entwickelt hat.
Wer noch dabei sein will – Details zu Agenda und Anmeldung gibt‘s hier.
Ein schönes Wochenende,
Thomas Fricke
Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.