DER STAAT | NEW ECONOMY SHORT CUT

Finanzieren sich Steuersenkungen auf Pump am Ende selbst?

26.08.2021

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Der Beitrag ist Teil unserer New Economy Short Cut Reihe zur Bundestagswahl, bei der wir prominente Kandidaten und Kandidatinnen vor der Bundestagswahl dazu einladen, die Vorstellungen ihrer Parteien im Hinblick auf die großen ökonomischen Fragen unserer Zeit mit uns zu diskutieren. Weitere Diskutanten sind SPD-Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans, Caren Lay, Vize-Fraktionschefin der LINKEN, und Anja Hajduk, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/ Die Grünen.

Nach der Finanzkrise hat die Debatte unter Ökonominnen und Ökonomen über die Wirkung von Fiskalpolitik erhöhte Aufmerksamkeit erfahren und in manchen politischen Kreisen zu einem Umdenken geführt. Als „Minimalkonsens“ scheint sich die Ansicht durchgesetzt zu haben, dass eine Ausnahmesituation wie etwa eine Weltwirtschaftskrise, eine Naturkatastrophe oder Pandemie eine vorübergehend erhöhte Verschuldung rechtfertigt. Ein grundsätzlicher Konsens besteht ebenfalls darin, dass die Wirkung der Fiskalpolitik auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Fiskalmultiplikatoren, stark vom jeweiligen Kontext abhängen.

Scheint es aus ökonomischer Sicht in der aktuellen Situation sinnvoll, deutsche Unternehmen und Gutverdienende derart zu entlasten, wie es die FDP vorschlägt? Was sagt etwa die empirische Forschung zu Fiskalmultiplikatoren? Ist es möglich, bereits jetzt valide Schlüsse aus der letzten US-Steuerreform zu ziehen? Darüber konnten wir mit FDP-Fraktionsvize und MdB Christian Dürr und dem Ökonomen Rüdiger Bachmann (University of Notre Dame) sprechen.

Ein Kernpunkt des Austausches zwischen Christian Dürr (FDP) und Rudi Bachmann (University of Notre Dame, USA) war die Frage nach der Selbstfinanzierung des FDP-Steuerpakets. Bis zuletzt gingen in dieser Frage die Einschätzungen auseinander. Während Christian Dürr auf Basis der Modellberechnungen des ifo Instituts im ifo Schnelldienst vom 23.08.2021 argumentierte, dass die zusätzlichen Investitionen die geringeren Steuereinnahmen innerhalb eines Jahrzehnts ausgleichen könnten, wandte Rudi Bachmann ein, dass er diese Berechnungen als sehr optimistisch einschätze.

Der Ökonomie-Professor gab eingangs einen Überblick über den Forschungsstand zu dem Thema. Die empirische Literatur zeige ein sehr gemischtes Bild; die Streuung der Ergebnisse und die Schätzunsicherheit sei in diesem Forschungsfeld sehr hoch. Zudem habe die Meta-Analyse vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) auf einen möglichen Publikationsbias in diesem Forschungsfeld aufmerksam gemacht.

Zwar existiere grundsätzlich eine positive Evidenz dafür, dass die Investitionstätigkeit und das BIP durch Steuersenkungen stimuliert würden, allerdings seien die Transmissionsmechanismen etwa auf dem Arbeitsmarkt weniger klar zu bestimmen. Dies sei nicht zuletzt am Beispiel der letzten US-Steuerreform zu sehen. Diese habe beispielsweise nicht zu höheren Reallöhnen geführt. Dabei sollte man noch beachten, dass Deutschland eine wesentlich stärker exportabhängige Volkswirtschaft sei, weshalb eine Absickerung ins Ausland auftreten könnte. Angesichts langfristiger Trends hin zur einer hohen Sparneigung der Unternehmen und zur säkularen Stagnation der Wirtschaft sei es eher unwahrscheinlich, dass sich die fiskalischen Multiplikatoreffekte in der von der FDP erwünschten Höhe realisierten.

Christian Dürr hob hervor, dass seine Partei Steuersenkungen nicht als Selbstzweck begreife, sondern als zentrales Vehikel zur Förderung von Investitionen und Wachstum. Da die Privatwirtschaft den Löwenanteil der Investitionen in die digitale und grüne Transformation der Wirtschaft tragen werde, müsse die Politik dafür die Weichen durch Bürokratieabbau und gute politische Rahmenbedingungen (z.B. durch schnellere Planverfahren) stellen. Darüber hinaus seien auch ein stärkeres Werben für Einwanderung und mehr Freihandel wichtig, um das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu sichern.

Rudi Bachmann wandte ein, dass die großen Herausforderungen Dekarbonisierung und Digitalisierung mehr Staatsausgaben nötig machten. In diesem Punkt stimmte ihm der FDP-Fraktionsvize nur teilweise zu: zwar sollte der Staat bei einigen Schlüsselsektoren wie etwa bei der Wasserstoffwirtschaft den Weg zum „grünen Wachstum“ gezielt fördern, oft seien Subventionen allerdings der falsche Ansatz (z.B. bei E-Autos). Christian Dürr sprach sich leidenschaftlich für marktwirtschaftliche Instrumente beim C02-Emissionshandel (für die Mengenbegrenzung und gegen den C02-Preis) aus.

Einigkeit herrschte in Bezug auf einige konkrete Punkte: Das Potential von beschleunigten Abschreibungen und die automatische Stabilisierungswirkung einer negativen Gewinnsteuer wurden von beiden Gesprächspartnern als sinnvolle steuerpolitische Instrumente hervorgehoben. Der Kernpunkt der Diskussion, ob das FDP-Wahlprogramm mit der Schuldenbremse vereinbar sei, bleib jedoch eine offene Frage. Christian Dürr zufolge garantiert eine zeitlich gestreckte Umsetzung der Steuerpläne seiner Partei einen ausreichenden Spielraum, um im Einklang mit der Schuldenbremse zu bleiben. Darüber hinaus biete der Bundeshaushalt Potential für Einsparungen. Rudi Bachmann vertrat die Ansicht, die Politik sollte immer auch einen „Plan B“ für den Fall einer weniger günstigen ökonomischen Entwicklung entwerfen.

Was war noch wichtig?

Beim Thema der Einkommenssteuer wies Christian Dürr darauf hin, dass nicht nur der Tarif, sondern die Steuer-Inzidenz zu beachten sei. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Studie von Fuest et al 2017, die zeigt, dass über die Hälfte der Unternehmenssteuerlast auf die ArbeitnehmerInnen in Deutschland übertragen wird. Laut Dürr trage die Mittelschicht eine überproportional hohe Steuerlast, daher sei es nötig, diese zu entlasten.

Des Weiteren erwähnte Rudi Bachmann, dass gute ökonomische Argumente dafür gäbe, die Erbschaftssteuer stärker zu nutzen, wohingegen Christian Dürr die Position seiner Partei vertrat, die eine verstärkte Substanzbesteuerung ablehnt

Nach Auffassung der Freien Demokraten ist nach der Corona-Pandemie eine „haushaltspolitische Wende“ nötig. Während sich SPD, Grüne und Linke in ihren Wahlprogrammen tendenziell für mehr Umverteilung aussprechen, schließen FDP und CDU/CSU Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl aus und fordern eine „Entfesselung“ der deutschen Wirtschaft. Das FDP-Wahlprogramm sieht dabei die stärksten steuerlichen Entlastungen vor, sowohl bei der Einkommensteuer als auch bei der Unternehmensbesteuerung. Die Freien Demokraten fordern, die durchschnittliche Steuerlast für Firmen auf unter 25% zu senken, was u.a. durch die Abschaffung der Gewerbesteuer, die Absenkung der Körperschaftsteuer von 15 % auf 10% und durch vereinfachte Möglichkeiten für Abschreibungen erreicht werden soll. Darüber hinaus werden Steuersenkungen und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle Einkommensklassen vorgeschlagen, wobei Spitzenverdiener und Vermögende im Vergleich mit den Steuerplänen anderer Parteien die deutlichsten Einsparungen verbuchen könnten. All diese Maßnahmen sollen Steuerentlastungen für Privathaushalte (i.H.v. ca. 45 Mrd. Euro) und Unternehmen (i.H.v. ca. 30 Mrd. Euro) bringen. [1]

Der FDP zufolge sind diese Steuererleichterungen nicht nur mit der Schuldenbremse vereinbar, sondern für ihre langfristige Einhaltung erforderlich. Nur wenn man jetzt auf Investitionsanreize setze, könne die deutsche Wirtschaft das Wachstum ankurbeln und das Land aus den während der Corona-Krise aufgenommenen Schulden „herauswachsen“.[2] Der FDP-Chef Christian Lindner führte dazu im Handelsblatt aus, dass „(…) auf dem Weg zur schwarzen Null (…) ein Defizit für Entlastungen und Investitionen unvermeidlich (…)“ sei.[3]

[1] Siehe Beschluss des FDP-Fraktionsvorstands vom 02.06.2020, S. 2f.

[2] Siehe FAZ-Artikel von Bettina Stark-Watzinger und Christian Dürr mit dem Titel „Steuersenkungen sind ein Beitrag zum Gemeinwohl“ vom 22.01.2021.

[3] Das vollständige Zitat aus dem Interview mit Jan Hildebrand und Till Hoppe im Handelsblatt am 11.05.2021 lautet: „FDP-Chef Christian Lindner will für die von ihm geforderten Steuersenkungen zunächst höhere Schulden in Kauf nehmen. ‚Die schwarze Null ist das Ziel, auf dem Weg dorthin müssen wir baldmöglichst die Schuldenbremse wieder einhalten‘, sagte Lindner dem Handelsblatt. ‚Aber zu Beginn des Turnarounds ist ein Defizit für Entlastungen und Investitionen unvermeidlich.‘ “

Ein zentrales Argument für die Senkung der Steuerlast von Unternehmen ist der internationale Steuerwettbewerb. Es wird dabei häufig angeführt, dass Deutschland ein „Hochsteuerland“ sei und dass der Wirtschaftsstandort Deutschland durch Senkungen der Steuerlast attraktiver für Investitionen gemacht werden müsse. Laut der FDP würde die steuerliche Entlastung der Unternehmen und Privathaushalte zusätzliche Investitionen und Konsumausgaben freisetzen, sodass die dadurch generierten Steuereinnahmen die entgangenen Staatseinnahmen überkompensieren. In einem Beschluss der FDP-Fraktion wird das Ziel genannt, durch die Entlastung der Wirtschaft um ca. 60 Milliarden Euro zusätzliche private Investitionen i.H.v. 120 Milliarden Euro jährlich zu mobilisieren.[4]

Am Beispiel der Körperschaftsteuer kann man sehen, dass durchaus positive Effekte auf die Investitionstätigkeit zu erwarten wären: Ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft hat im Auftrag des BDI zwei der sowohl im „Steuermodell der Zukunft“ des BDI als auch im FDP-Wahlprogramm enthalten Vorschläge berechnet. Demzufolge würden diese Maßnahmen (die Senkung des Körperschaftsteuersatzes um fünf Prozentpunkte und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags) ein zusätzliches Investitionsvolumen von ca. 6,7 Milliarden Euro mobilisieren und sich bis zum Jahr 2030 zu rund einem Drittel selbst finanzieren.[5]

Laut einer neuen Studie des ifo Instituts wären die größten Wachstumseffekte durch beschleunigte Abschreibungen zu erreichen, da diese sowohl Kapitalgesellschaften als auch Personenunternehmen steuerlich entlasten. Mittels eines Computable General Equilibrium (CGE) Modells simulieren die Autoren die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Steuersenkungen, darunter die Senkung der Körperschaftsteuer um fünf Prozentpunkte und die Verkürzung des steuerlichen Abschreibungszeitraums von zehn auf vier Jahre. Diese beiden Maßnahmen würden zwar kurzfristig zu den größten Einnahmeverlusten führen. Direkt nach der Umsetzung würde die Steuersenkung einen Einnahmeverlust von knapp 30 Mrd. Euro an Steuergeldern nach sich ziehen. Dies würde allerdings durch Zuwächse bei den Investitionen, beim Konsum und der Beschäftigung ausgeglichen, sodass das reale BIP langfristig, d.h. mehr als drei Jahre später, um etwa 3 Prozentpunkte steigen würde.

Andere Ökonomen wie beispielsweise Philipp Heimberger geben zu bedenken: „Wer hohe Wachstumseffekte durch sinkende Unternehmensteuern behauptet, weckt übertriebene Hoffnungen.“ [6] Denn laut Heimberger lassen empirische Studien, die den Effekt von Steuersenkungen auf das Wirtschaftswachstum untersuchen, keine eindeutigen Schlüsse zu. In einer neuen Meta-Analyse von über 40 Studien findet er zusammen mit Sebastian Gechert empirische Evidenz für einen Selektionsbias, d.h., dass Studien, die einen statistisch signifikanten negativen Zusammenhang zwischen Steuersätzen und dem Wirtschaftswachstum zeigen, eher publiziert werden als solche mit gegenteiligen oder unklaren Ergebnissen. [7]

[4] Siehe Beschluss des FDP-Fraktionsvorstands vom 08.05.2021, S. 1.

[5] Vgl. Hentze und Golev 2021, S. 16.

[6] Gastkommentar von Philipp Heimberger im Handelsblatt vom 03.08.2021.

[7] Vgl. Gechert und Heimberger 2021, S. 22.

Eine Bestandsaufnahme vom Forum New Economy über fiskalpolitische Theorien und die Rolle des Staates im Wandel der Zeit – hier.

Ein Forum New Economy Working Paper von Philippa Sigl-Glöckner, Max Krahé, Pola Schneemelcher, Florian Schuster, Viola Hilbert und Henrika Meyer über die akademische Diskussion über die Schuldenbremse – hier.

Ein Forum New Economy Working Paper von Rainer Kattel, Mariana Mazzucato, Keno Haverkamp und Josh Ryan-Collins über neue Wege für die deutsche Wirtschaftspolitik nach der Pandemie – hier.

Eine vom Marktforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Forums New Economy durchgeführte Befragung über die deutsche Wirtschaftspolitik aus dem Jahr 2019 – hier.