KLIMA

Recap: Das Ende des Kapitalismus?

Bei unserem letzten Short Cut ging es um Ulrike Herrmanns Buch und die Frage, ob grünes Wachstum möglich ist.

VON

DAVID KLÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

28. FEBRUAR 2023

LESEDAUER

3 MIN

Die Welt ist geprägt von radikaler Ungewissheit, weswegen gerade längerfristige Zukunftsprognosen oft weit neben der Realität liegen. Das ist angesichts der Klimakrise, bei der Handlungen von vorgestern auch oder vor allem noch übermorgen wirken, besonders problematisch.

Müssen wir alle uns alle drastisch einschränken, um das Klima noch zu retten? Ja, schreibt die Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem Buch über das „Ende des Kapitalismus“ – weil wir gar nicht mehr so viele Erneuerbare Energie generieren können, um die heutige Wirtschaftsleistung halten zu können. Dabei ist die Frage unter Experten und Expertinnen durchaus umstritten. Daher haben wir diese Fragen bei unserem letzten New Economy Short Cut diskutiert: mit der Autorin Ulrike Herrmann, dem Kolumnisten und HAW-Professor Christian Stöcker, und dem Würzburger Makroökonomen Peter Bofinger.

Urlike Herrmann stellte zu Beginn kurz ihre wichtigsten Thesen aus dem Buch vor. Zwar habe der Kapitalismus durch die Industrialisierung zu massiven Wohlstandsgewinnen geführt und sorge als dynamisches und anpassungsfähiges System für globales Wachstum. Allerdings sei die Kehrseite dieses Prozesses die Zerstörung des Klimas, weswegen der Kapitalismus mit seinem Wachstumszwang in einer endlichen Welt an seine Grenzen stoßen werde.

Zentrale These des Buches ist es, dass die Ersetzung der fossilen Energien durch grüne Energien, wie Solar oder Windkraft, nicht möglich sei. Denn lediglich ein kleiner Teil des gesamten Primärenergieverbrauchs sei momentan durch Erneuerbare abgedeckt. Eine Entkopplung sei zwar theoretisch möglich, aber sie werde nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen, da Technologiezyklen zu lange bräuchten. Daher fehle die Zeit, um durch grünes Wachstum die Klimakatastrophe zu verhindern, bevor Kipppunkte erreicht würden. Um bis 2040 die deutsche Wirtschaft auf einen klimaneutralen Pfad zu bringen, müsse sie schrumpfen.

Hindernisse, wie technische Probleme bei der Zwischenspeicherung von Energie, genügend Flächen für den Ausbau von Windparks, und dem Transport von grünem Wasserstoff würden zusammen mit enorm hohen Energiekosten zu einem Ende des Wirtschaftswachstums, und damit zum Ende des Kapitalismus führen. Der Titel ihres Buches sei kein normativer, sondern habe den Anspruch auf eine nüchterne Tatsachenbeschreibung. Wenn man dieser Tatsachenbeschreibung folgt, ist die relevante Frage nicht mehr, wie grünes Wachstum am effizientesten gestaltet werden kann, sondern grünes Schrumpfen.

Herrmanns Antwort auf diese Frage ist, die britische Kriegswirtschaft in den 1940er Jahren als Beispiel zu nehmen, bei der eine radikale Schrumpfung der Privatwirtschaft durch staatliche Steuerung und Rationierung erreicht worden ist. Als ein Beispiel für mögliche Rationierung führt sie die Wasserknappheit in Deutschland an. Sollte das Wasser knapp werden, interessierten sich alle nur noch für den Staat.

Was jetzt schon klar ist: das erste Gut in Deutschland, das rationiert werden wird, ist Wasser. Die Hitze- und Dürreperioden werden sich häufen. Deutschland wird nicht zur Wüste, aber Wasser wird knapp. Dann stehen alle beim Staat - keiner interessiert sich mehr für Märkte, für Preise, für das freie Spiel der Kräfte. Der Staat entscheidet dann auch und teilt Liter zu, physische Mengen, das ist dann faktisch Rationierung.
Ulrike Herrmann

Zentraler Kritikpunkt von Christian Stöcker war, dass es in der Diskussion darum gehen sollte, wie der Kapitalismus heute dazu genutzt werden kann, um die Klimaziele zu erreichen, und nicht um ein mögliches Wirtschaftssystem, welches wir in 80 Jahren vielleicht mal führen werden. Außerdem sei Wachstum zu eindimensional betrachtet worden. Menschliche Wohlfahrt sei immer schon mehr als das Bruttoinlandsprodukt gewesen und die Frage müsste daher sein, was wachsen soll und wozu.

Schon der Erfinder des BIP, Simon Kuznets, sagte: Wer nach Wachstum ruft, soll immer sagen was wachsen soll und wozu. Im Moment unterscheiden wir nicht zwischen Muskelwachstum und Krebs.
Christian Stöcker

Ähnlich wie Christian Stöcker kritisierte auch Peter Bofinger, dass eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und klimaschädlichen Emissionen sehr wohl möglich sei. Beide betonten das rasante und exponentielle Wachstum im Bereich der Erneuerbaren Energien, das durch den Inflation Reduction Act in den USA nun zusätzlich an Fahrt aufnehmen könnte. Für das notwendige Tempo sei aber neben staatlicher Förderung auch der Druck von Märkten und des Kapitalismus notwendig, um genügend Ressourcen für die Entwicklung und den Ausbau grüner Technologien zu bündeln. Laut Bofinger, müsse die Klimakrise dafür nicht mit der Technik von heute gelöst werden und grüne Energie müsse nicht unbedingt in Deutschland produziert werden. Er betonte, dass dafür eine europäische Perspektive wichtig sei.

Ein europäisches Anliegen ist es, das europäisch zu machen. Wenn ich eines an der Bundesregierung kritisieren würde, ist das, dass sie immer den Anschein erweckt, wir müssten jedes Windrad in Deutschland bauen. Was wir brauchen, ist eine europäische Strategie. Ob es am Ende ausreicht, weiß ich nicht, aber die Potentiale sind da.
Peter Bofinger

Dissens bestand vor allem in der Frage, ob der Energieverbrauch einer wachsenden Wirtschaft durch grüne Technologien abgedeckt werden könne. Während Ulrike Herrmann dieser Möglichkeit kritisch gegenüberstand, bejahten Christian Stöcker und Peter Bofinger sie. Einig waren sie sich darin, dass erneuerbare Energien möglichst schnell ausgebaut werden sollten. Ob es am Ende für grünes Wachstum ausreicht oder nicht, wird sich zeigen.

Die ganze Diskussion im Re-Live

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