DER STAAT

Die Grenzen der Fiskalpolitik: Vier Top-Ökonomen im Short Cut über die 100-Milliarden Frage

Die Bundeswehr soll 100 Milliarden bekommen – ohne dass dafür die Schuldengrenzen gesprengt werden. Was bedeutet das für den Kurs des Bundesfinanzministers? Muss dafür woanders gespart werden? Darüber sprachen wir mit Jens Südekum, Philippa Sigl-Glöckner, Hubertus Bardt und Sebastian Dullien. Wir haben die Highlights zusammengefasst.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

15. MÄRZ 2022

LESEDAUER

5 MIN

Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro Sondervermögen bekommen. Was bedeutet das für den Kurs des Finanzministers und die Finanzierung anderer großer Krisen? Dies waren die Leitfragen unseres New Economy Short Cuts mit Jens Südekum, Philippa Sigl-Glöckner, Hubertus Bardt und Sebastian Dullien. Wir haben die Highlights der Debatte zusammengefasst.

Die Key Takeaways

Eine erste Einschätzung der fiskalpolitischen Lage lieferte Jens Südekum, der sich von der Ankündigung des Bundeskanzlers, 100 Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr bereitzustellen, überrascht zeigte. „Das Sondervermögen für die Bundeswehr reiht sich ein in eine Serie von Notoperationen, an die wir uns schon gewöhnt haben in Bezug auf die Schuldenbremse.“ Zuletzt habe man den Regelmodus coronabedingt verlassen, nun folge als Reaktion auf den Ukraine-Krieg die nächste Notoperation (mit dem Unterschied, dass das Sondervermögen für die Bundeswehr verfassungsrechtlich abgesichert werden soll (Anm.d.R.)). Dass man einen Ausnahmezustand an eine Verfassungsänderung knüpft, das mute seltsam an, so Südekum. Er forderte stattdessen eine grundsätzlichere Diskussion über die Sinnhaftigkeit und zukünftige Ausgestaltung der Schuldenbremse. Zudem sei zu bedenken, dass das Ziel von Ausgaben für den Verteidigungsetat von 2 Prozent des BIP selbst mit Zuhilfenahme des Sondervermögens und einem Anstieg der regulären Ausgaben auf 50 Milliarden jährlich nur für die kommenden fünf Jahre realistisch sei. Wie das 2-Prozent-Ziel ab 2026 erreicht werden solle, bleibe in der aktuellen Debatte unklar

„Es wird nur in Legislaturperioden gedacht.“
Jens Südekum

Noch drängender sei allerdings die Frage, welche Implikationen das Sondervermögen für andere Bereiche habe. „Drohen jetzt Kürzungen? Oder geht sowas jetzt auch für Investitionen, Klima, Bildung? Ich würde diese Frage mit Ja beantworten. Es ist eine Frage des politischen Willens. Wir müssen aber von den Notlagen und den Versuchen wegkommen, die Realität ins Korsett der Schuldenbremse zu pressen.“ Vielmehr brauche man ein zukunftsfähiges Konzept für die Fiskalpolitik auf nationaler und europäischer Ebene, so Südekum abschließend (Jens Südekum musste den Call nach 30 min verlassen).

Hubertus Bardt ergänzte, dass man sich angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine zwar einer Ausnahmesituation gegenübersehe, das nun geplante Sondervermögen aber lediglich die versäumten Investitionen vergangener Jahre nachhole. Daher sei es absurd, die aktuelle Lage als Ausnahmetatbestand zu deklarieren. „Verschleppte Ausgaben sind kein Ausnahmetatbestand“, so Bardt. Eine solche ad hoc Aktion, aus einem politischem Momentum heraus, könne daher nicht als Vorlage für andere Notlagen dienen. Vielmehr müsse man den Haushalt so ausgestalten, dass notwendige Ausgaben innerhalb des regulären Rahmens ermöglicht werden. Trotz der Riesensummen, über die nun diskutiert werde, sei der Haushalt weiter auf Kante genäht, eine systematische Antwort auf den gigantischen Investitionsbedarf in Infrastruktur, Klima usw. fehle.

Philippa Sigl-Glöckner kommentierte, dass man mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr bereits zum dritten Mal in kurzer Zeit versuche, Sonderregeln und Verschiebungen im Rahmen der Finanzpolitik und Schuldenbremse durchzubringen.

„Damit hat sich die deutsche Haushaltspolitik zum Prinzip gemacht, dass man den Haushalt hinbekommt, indem man die Taschen mit one-offs stopft, und dann über Jahre guckt, wie man sie ausgibt.“
Philippa Sigl-Glöckner

Selbst wenn es keinen offiziellen Prinzipienwechsel der Finanzpolitik in Deutschland gegeben habe, so sei de facto genau dies geschehen, so Sigl-Glöckner. Wichtig sei daher, sich die Frage zu stellen, wie ein neuer Rahmen für die Fiskalpolitik aussehen solle. Bisher sei die Schuldenquote der Anker gewesen. Nun sage die Bundesregierung mit ihrem Handeln aber, dass man über diesen in Notsituationen hinwegsehen könnte. Dies hinterlasse große Fragezeichen.

Zudem gab Sigl-Glöckner zu bedenken, dass ein Haushalt mit zahlreichen Sondervermögen auch praktisch schwer zu managen sei. Das Geld werde verbucht, wenn es dem Sondervermögen zufließe, nicht dann, wenn es de facto ausgegeben werde. Dies führe zu Intransparenz. Eine derartige Politik sei zudem stets reaktiv, man könne immer erst reagieren, wenn der Leidensdruck bereits sehr groß sei. „Konsumptive Ausgaben (z.B.Gehälter) mit one-offs zu finanzieren, das ist das Gegenteil von nachhaltiger Finanzpolitik.“

Sebastian Dullien argumentierte, dass das Manöver ökonomisch richtig, wenn auch in seiner Begründung absurd sei. Da die Regeln trotz Notfallklausel strenger ausgelegt seien als nötig, um die Schuldenquote einzuhalten, sei es nachvollziehbar, dass sie umgangen würden. Insgesamt werde die Schuldenbremse in ihrer Begründung so aber immer absurder, die Haushalte immer intransparenter. Schon jetzt sei es schwer, den Überblick über die einzelnen Haushaltstöpfe zu behalten. Auch müsse man über die Effizienz der verwendeten Gelder diskutieren. Frankreich habe mit ähnlich hohem Budget ein einsatzfähigeres Militär.

Worüber sonst noch diskutiert wurde

Auf die Frage, wie die Ausgaben im Rahmen der europäischen Schuldenregeln zu bewerten seien, sei eine abschließende Antwort noch nicht möglich, so der Tenor der Teilnehmer. Sebastian Dullien verwies darauf, dass die europäischen Fiskalregeln mit zahlreichen Wertungsspielräumen ausgestattet seien. Bevor ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werde, gäbe es viele diskretionäre Stufen. Hubertus Bardt gab zu bedenken, dass man generell ein kulturelles Problem der Fiskalpolitik habe. „Wir haben Schwierigkeiten, die kulturelle Prägung der Schuldenbremse zu ändern.“ Trotzdem sei er froh, dass man hierzulande mehr Spielräume habe als höher verschuldete Länder wie beispielsweise Italien. Vielmehr fehle es an der Debatte darüber, wofür man denn gespart habe.

„Gibt es eine Situation, in der das, was eingespart wurde, ausgegeben werden muss? Sparen tut man ja, um auch für atypische Ausgaben gerüstet zu sein, Stichwort Transformation.“
Hubertus Bardt

Die Grenzen der Fiskalpolitik

Sehr deutlich zeigt die aktuelle Debatte, wie schwierig es ist, die Grenzen der Fiskalpolitik zu bestimmen. Es sei zwar zweifelsfrei klar, dass es Grenzen der Verschuldung gebe, so Sigl-Glöckner. „Aber kann man im Vorhinein sagen, wo diese liegen, bevor man über sie hinweg schießt?“ Die aktuelle Fiskalpolitik berge große Risiken dahingehend, dass man auf einen immer dramatischer werdenden Trade-Off nötiger Ausgaben zusteuere, bis zu dem Punkt, an dem wichtige Investitionen nicht mehr finanziert werden könnten. Auch in Bezug auf die europäische Debatte sollte man dringend das gängige Narrativ überdenken, wonach es gut sei, dass Regierungszahlungen ausfallen und Finanzierungskosten schnell große Varianzen aufzeigen könnten. „In einer Situation, wo das auch die europäische Souveränität schwächen könnte, sollte man über dieses Narrativ nochmal nachdenken“, so Sigl-Glöckner.

Die Post-2022 Schuldenbremse

Abschließend nahm die Debatte die Zukunft in den Blick. Wie groß die Wahrscheinlickkeit sei, dass man – unabhängig von den Sondervermögen – angesichts der aktuellen Krise, steigenden Energiepreise usw. die Schuldenbremse 2023 wirklich wieder einhalten könne, wollte das Publikum wissen.

Darüber, dass für 2023 wahrscheinlich weiterhin erhebliche Mehrkosten anfallen werden, war man sich einig. Insbesondere ein durch den Ukraine-Krieg ausgelöster Import- bzw. Lieferstopp berge aufgrund der Kaskadeneffekte in den Produktionsketten ein hohes Risiko. Auch für das kommende Jahr rechnen Sigl-Glöckner, Dullien und Bardt daher damit, dass sich große Haushaltseffekte ergeben werden, die über eine weitere Notfallklausel gelöst werden müssten, sofern man die Schuldenbremse einhalten wolle. In jedem Fall drohe in den kommenden Jahren ein Finanzierungs- und Ausgabenkonflikt, den man mit dem Sondervermögen nur temporär umgangen habe.

Die Diskussion als Re-live

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Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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