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Robert Shiller - Narrative für das nächste Paradigma

Narrative sind in der ökonomischen Forschung immer noch unterrepräsentiert. Robert Shiller will das ändern und weist auf die enormen Einflüsse von Narrativen auf ökonomische Entwicklungen in der Vergangenheit hin.

VON

THORE BECKMANN

VERÖFFENTLICHT

20. MÄRZ 2020

LESEDAUER

6 MIN

Am 16. März veranstalteten wir ein Videoseminar mit dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Robert Shiller (Yale University) und Autor des Buches „Narrative Economics: How Stories Go Viral and Drive Major Economic Events“. Shiller fordert eineEntwicklung und Ausweitung auf neue Ansätze in der Wirtschaftsforschung, um die Relevanz der ökonomischen Forschung zu erhöhen. Er legt seinen Hauptaugenmerk auf die Forschung zu populären viralen Narrativen und wie diese als Katalysator für wirtschaftlicher Ereignisse berücksichtigt werden sollten.

In fast allen Geselschaftswissenschaften gewinnen Narrative an Bedeutung, nur in den Wirtschafts- und Finanzwissenschaften wird ihnen noch immer kaum Beachtung geschenkt (Graph 1). Shiller wünscht sich, dass die Wirtschaftswissenschaftler die Realität dieser Geschichten und ihre Auswirkungen auf unser Denken erkennen. Dazu müssten sie aber zunehmend wie „Humanisten“ denken.

Shiller unterscheidet zwischen „Narrative“ und „Geschichten“, demnach beinhalten Narrative bereits eine Weltsicht und somit eine Botschaft an den Empfänger. Er vergleicht sie mit Viren, die sich durch Ansteckung von Mensch zu Mensch verbreiten. Die Erzählungen, die einem Narrativ zugrunde liegen, bauen oft auf kleinen und persönlichen Geschichten auf, und ihre „Ansteckungsrate“ basiert nicht unbedingt auf Qualität oder Wahrheit – auch wenn Shiller sagt, dass die meisten Erzählungen eine Wahrheit enthalten – sondern auf der emotionalen Anziehungskraft.

Dieser emotionale Reiz, so Shiller, führt zu einer Langlebigkeit der Erzählungen, die er als „perennial narratives“ bezeichnet. Auch wenn einige Erzählungen zu verschwinden scheinen, haben sie die Fähigkeit, wieder aufzutauchen, ähnlich wie Viren. Der letzte berühmte Fall, in dem dies geschah, war, als Donald Trump erfolgreich die Erzählung „Make America Great Again“ wieder aufleben ließ, die bereits von Ronald Reagan verwendet wurde.

Technologie und soziale Medien, so Shiller, erhöhen die Ansteckungsrate und sind daher ein entscheidender Faktor, wenn eine Geschichte heute viral geht. Sie bieten auch die Möglichkeit, leichter mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten, und damit eine Basis zu schaffen, was dann im nächsten Schritt viral gehen kann.

Wie entwickelt man ein neues Narrativ?

Während der Diskussion zu Shillers Präsentation merkte die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling (University of California, Berkeley) an, dass Narrative, die oft auf leicht verständlichen Geschichten aufbauen, dazu neigen, einen direkten Kausalrahmen für ein komplexeres systemisches Problem aufzuzeigen. Wenn man den Erfolg der Kommunikationsmethoden von Donald Trump betrachtet, würde man sehen, dass komplexe Themen wie Ungleichheit, Migration und Klimawandel durch direkte Kausalphänomene wie „Trickle Down Economics“, „Extreme Weather Occurences“ und „Building a Wall“ erklärt werden. Wehling weist auch auf die emotionale Bindung bestimmter Wörter hin und wie sie sprachlich eine Botschaft vermitteln, die die Aussage der Erzählung verstärken und leiten kann.

Wenn man über ein positives Narrativ für die Zukunft nachdenkt, die ökonomisches Handeln nach und während der Corona-Krise leiten könnte, ist es wichtig, den Unterschied zwischen direkt kausalen und systemischen Erklärungen zu betrachten. Maja Göpel (WBGU) argumentiert, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt. Ein systemisches Problem sei nicht geeignet, von nur einer Führungskraft gelöst zu werden, sondern erfordere, wie wir jetzt sehen, eine Vielzahl von Experten.

Unsere gesellschaftliche Struktur sei jedoch auf hierarchisches Denken ausgerichtet, und die Gesellschaft sehne sich nach der einfachen direkten kausalen Erklärung, auch wenn sie vielleicht nicht die richtige ist.

Das macht die Entwicklung eines positiven Gegen-Narrativs, die den systemischen Charakter von Problemen anerkennt, so schwierig. Shiller argumentiert, dass Greta Thunberg in den letzten Jahren eines der stärksten Narrative entwickeln konnte, während sie sich mit der systemischen Natur der Klimakrise auseinandersetzte. Sie tat dies, indem sie eine authentische Beziehung zum Thema zeigte und eine emotionale Botschaft übermittelte. Der Erfolg von Greta Thunberg könnte darauf hindeuten, dass der Green Deal die nächste grosse Erzählung ist, die die wirtschaftliche Entwicklung in der Zukunft prägen könnte.

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Brauchen wir ein ganz neues Verständnis von Wirtschaftswachstum? Was wäre eine reale Alternative? Wie praktikabel sind Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt, wenn es um die Messung von Wohlstand geht? Um diese und andere grundsätzlichere Herausforderungen geht es in dieser Sektion.

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