NEUES LEITMOTIV
The Berlin Summit 2025: All wrong? Lessons from Bidenomics
Beim Berlin Summit blickten führende US-Expertinnen und Experten auf Bidenomics zurück und diskutierten, warum die ambitionierte wirtschaftspolitische Agenda der Biden-Regierung, in die so viele Hoffnungen gesetzt wurden, nicht zu einem Wahlsieg der Demokraten im November 2024 führte.
VON
FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
23. JUNI 2025
Präsident Bidens Wirtschaftspolitik gilt weithin als der ambitionierteste Bruch mit dem neoliberalen Orthodoxie seit Jahrzehnten und wurde von vielen mit großer Hoffnung verfolgt. Nach der Niederlage der Demokraten bei der Präsidentschaftswahl im November 2024 schien die anfängliche Euphorie rund um Bidenomics jedoch weitgehend verflogen. Doch wird dem Projekt damit nicht Unrecht getan? Beim Berlin Summit haben wir Expertinnen und Experten aus den USA zusammengebracht, um auf die wirtschaftspolitische Strategie der Biden-Regierung zurückzublicken – und zu ergründen, warum sie sich nicht in einen Wahlsieg ummünzen ließ. Die Diskussion bot eine differenzierte Bewertung von Bidenomics, die sowohl ihre Erfolge als auch ihre Grenzen beleuchtete.
Bidenomics wurde als bewusste Abkehr von der Trickle-down-Ökonomie konzipiert und setzte stattdessen auf einen „Middle-out“-Ansatz – eine Strategie, die das Wirtschaftswachstum durch die Stärkung der Mittelschicht fördern soll. Sie beruhte auf drei Säulen: Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Förderung des Wettbewerbs und öffentliche Investitionen. Wie ein Diskussionsteilnehmer formulierte: „Ziel war es, das Machtverhältnis zu verschieben – weg von den Arbeitgebern hin zu den Arbeitnehmern, weg von den Marktführern hin zu den Herausforderern und weg von den Anteilseignern hin zu den Stakeholdern.“
Die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, ein zentrales Element der Strategie, scheiterte jedoch weitgehend an der Blockade im US-Senat. Wichtige arbeitsrechtliche Reformen kamen nicht zustande, sodass sich die Regierung auf symbolische Gesten – wie Präsident Bidens Teilnahme an einem Streik – und regulatorische Anpassungen beschränken musste. Der durch den American Rescue Plan gestärkte Arbeitsmarkt verbesserte zwar die Verhandlungsposition der Beschäftigten, doch strukturelle Veränderungen blieben aus.
Die Förderung des Wettbewerbs, insbesondere in einer stark konzentrierten, technologiegetriebenen Wirtschaft, wurde auf juristischem Wege verfolgt. Die Federal Trade Commission unter neuer Leitung verfolgte eine aggressivere kartellrechtliche Strategie. Doch die langsamen Gerichtsverfahren und die geringe öffentliche Sichtbarkeit dieser Maßnahmen schmälerten ihre Wirkung.
Die greifbarsten Fortschritte wurden bei der dritten Säule erzielt: den öffentlichen Investitionen. Das Bipartisan Infrastructure Law, der CHIPS and Science Act und der Inflation Reduction Act markierten gemeinsam eine historische Wende hin zu einer aktiven Industriepolitik. Diese Gesetze mobilisierten Billionenbeträge für Infrastruktur, Halbleiterproduktion und erneuerbare Energien – mit Steuergutschriften und Subventionen, die privates Kapital anziehen und Arbeitsplätze schaffen sollten. Die USA verzeichneten sechs Quartale in Folge mit Rekordinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe, über 900 neue oder erweiterte Fabriken im Bereich der sauberen Energie wurden angekündigt. Die realen Investitionen stiegen und 75 % dieser Investitionen flossen in Regionen mit unterdurchschnittlichem Einkommen, darunter viele, die zuvor stark von fossilen Brennstoffen abhängig waren. Diese öffentlichen Investitionen lösten erhebliche private Folgeinvestitionen aus: Jeder Bundesdollar zog schätzungsweise sechs Dollar an privatem Kapital nach sich.
Insgesamt erzielte Bidenomics beeindruckende wirtschaftliche Ergebnisse – sowohl im historischen als auch im internationalen Vergleich. Die Frage ist also: Wenn Bidenomics wirtschaftlich so erfolgreich war, warum führte das nicht zu einem Wahlsieg der Demokraten? Die Diskussionsteilnehmer nannten mehrere Gründe: die Diskrepanz zwischen langfristigen Reformen und kurzfristig spürbaren Ergebnissen für die Bevölkerung, Desinformation und die Inflation. Letztere war der einzige kontrovers diskutierte Punkt. Einige sahen in der Inflation einen vermeidbaren politischen Fehler, der das reale Einkommenswachstum untergrub und Unzufriedenheit schürte. Andere argumentierten, dass die Inflation nur einer von vielen Faktoren war und ihre Wirkung überschätzt werde – zumal sie zum Zeitpunkt der Wahl bereits rückläufig war.
Darüber hinaus wurde betont, dass das Wahlverhalten zunehmend von kultureller Identität, empfundenem Statusverlust und affektiver Polarisierung geprägt sei – was bedeutet, dass politische Entscheidungen stärker durch Ablehnung des Gegners als durch materielle Interessen motiviert sind. Ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber dem Staat und eine langjährige Entfremdung gegenüber den Demokraten – insbesondere bei Wählerinnen und Wählern ohne Hochschulabschluss – erschweren es wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie Bidenomics, durchzudringen. Selbst gut konzipierte und wirkungsvolle Programme können daher ins Leere laufen, wenn sie nicht auch Anerkennung, Zugehörigkeit und symbolische Aspekte von Status und Respekt adressieren.
Dennoch warnten die Diskussionsteilnehmer davor, das Wahlergebnis im November als Referendum über Bidenomics zu interpretieren. Ihrer Ansicht nach lohnt sich ein differenzierter Blick – insbesondere auf die Zwischenwahlen, bei denen die Demokraten überraschend gut abschnitten. Zudem sei es noch zu früh, um das Vermächtnis von Bidenomics abschließend zu beurteilen. Vieles werde davon abhängen, ob die zentralen Maßnahmen in den kommenden Jahren beibehalten oder rückgängig gemacht werden – und welche langfristigen Wirkungen sie entfalten. Ein zentrales Element der Strategie bestand darin, die Reformen „sticky“ zu machen – durch vorgezogene Investitionen, eine breite Streuung staatlicher Unterstützung auch in republikanisch geprägte Regionen und die Gestaltung von Programmen, die sich nur schwer wieder zurückdrehen lassen. Doch angesichts anhaltender politischer Spannungen und Haushaltsverhandlungen ist unklar, wie dauerhaft diese Reformen sein werden.
Das Fazit des Panels war eindeutig: Eine wirtschaftlich erfolgreiche Politik ist notwendig, aber nicht ausreichend, um politische Unterstützung zu sichern. Um das zu erreichen, muss die Politik zudem sichtbar und nachvollziehbar sein – und von einer überzeugenden Erzählung begleitet werden, die nicht nur wirtschaftliche Not, sondern auch die kulturelle Identität und den empfundenen Statusverlust der Menschen adressiert.